heute in bremen
: „Das Gespräch ist nie dasselbe wie vorher“

Foto: Kay Michalak

Irina Drabkina, 33, arbeitet bei der Antidiskriminierungsstelle ADA und ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Bremen.

Interview Jan Zier

taz: Der heutige Fachtag „Antisemitismus begegnen!“ ist die Fortsetzung einer Veranstaltung, die noch von unterschätztem Antisemitismus sprach. Sind wir also schon weiter, Frau Drabkina?

Irina Drabkina: Der Titel vom letzten Jahr sollte auf eine Wahrnehmungsdiskrepanz hinweisen: Für jüdische Menschen ist Antisemitismus immer ein Thema, von der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft wird er aber zu wenig wahrgenommen. Es ist nicht so, dass sich an der Situation etwas drastisch geändert hat, weil verschiedene Vorfälle in den Medien aufgetaucht sind. Viele jüdische Menschen wissen nicht, wie sie dem im Alltag begegnen sollen. Deswegen bietet der Fachtag die Möglichkeit, sich Tools an die Hand geben zu lassen.

Hat die aktuelle Debatte um den Antisemitismus denn auch echte Konsequenzen?

Das werden wir sehen! Es kann verpuffen, es kann politisch benutzt werden, es kann genutzt werden, um das Problem, auf Einwanderer auszulagern. Dabei ist es ein Problem des linken und rechten Spektrums, aber auch der Mitte. Die Zivilgesellschaft muss wach sein und verstehen, dass eine Gesellschaft ohne Antisemitismus in unser aller Interesse ist. Es wird oft ohne die Perspektive Betroffener über Antisemitismus gesprochen. Das wollten wir bei unserem Fachtag anders machen.

Wie geht man damit um, wenn „Jude“ auf dem Schulhof zum Schimpfwort wird?

Ein Lehrer sollte sich klar schützend vor den Schüler stellen, es sollte solidarisch mit dem Schüler umgegangen werden. Und das muss im Unterricht thematisiert werden, man kann mit den Schülern über eigene Erfahrungen mit Diskriminierung und Flucht reden. Und die jüdischen Verbände und Gemeinden müssen dafür sorgen, die Jugendlichen zu empowern, so dass „Jude“ weiterhin ein positiv besetzter Begriff bleibt. Das Schimpfwort fällt auch, wenn man gar keine jüdischen Schüler hat.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?

Fachtag „Antisemitismus begegnen! Perspektiven aus dem jüdischen Erfahrungsraum sichtbar machen! 9:30 Uhr bis 18 Uhr, DGB-Haus, Bahnhofsplatz 22-28

Es verändert sich immer etwas, wenn ich es sage. Das Gespräch ist nie dasselbe wie vorher: Ich muss mich erklären, ich muss mich definieren, ich muss Stellung beziehen. Viele haben nur darauf gewartet, mal einem jüdischen Menschen ihre Meinung zum Nahost-Konflikt geigen zu können.

Die Nachfrage nach dem Fachtag ist groß.

Ja, wir hatten seit Tagen eine Warteliste.