Merkel vs. Schröder – das war das Duell
: Warum sahen die meisten Journalisten Merkel vorn?

Bloß nicht langweilen. Normalerweise ist das der Anspruch, den Journalisten an ihre eigenen Texte und Beiträge erheben, ihn aber dann doch eher bei den Kollegen als bei sich selbst einfordern. Am Sonntag forderten sie ihn auch bei Merkel und Schröder ein. So gesehen konnte aber nur die Herausforderin wirklich punkten, denn in sieben Jahren Rot-Grün sind die Medien abgestumpft gegenüber Schröders Witz, Charme und Volkstümlichkeit. Merkel ist trotz ihrer langjährigen Politkarriere in der Rolle des Alpha-Weibchens neu. Entsprechend sahen die umgehend nach Ende des Duells von Journalisten befragten Journalisten auch Angela Merkel wenn nicht vorn, so doch gleichauf. Als dann die ersten Zahlen aus den Zuschauerumfragen kamen, war die Überraschung groß: Schröder der haushohe Sieger? In Sympathie- wie auch Kompetenz-Fragen?

Tatsächlich: Was Journalisten in den anschließenden Analysen im Fernsehen und in den Zeitungen an Merkel so erfrischend fanden – nämlich ihre ungelenke, immer lieber auf Inhalt als auf Effekt fixierte Art –, scheint die Zuschauer eher abgeschreckt zu haben. Während sich die Medienvertreter vom Medienkanzler durch seine Mienenspielchen und überaus wohl platzierten Pointen manipuliert fühlten, genoss das TV-Publikum die Gerd-Show. Wo die Medien Neues erwarteten, war man vorm Fernseher froh, das Alte noch einmal erklärt zu bekommen. So schafften gerade die Umfrageergebnisse genau das, was sich Journalisten so wünschen: bloß nicht zu langweilen. Hannah Pilarczyk

Ging es um Frisuren, Mode und Gestik?

Obwohl Gerhard Schröder das dunkle Haar markant nach hinten gekämmt und seine Herausforderin Angela Merkel offenbar extra Haarspray aufgelegt hatte – solcher Art Äußerlichkeiten sind im Vorfeld dermaßen ausführlich diskutiert worden, dass sie in der Nachschau des TV-Duells am Sonntag keine Rolle mehr spielten. Das musste einfach nicht sein – eindeutig ein Fortschritt in der jungen deutschen TV-Duell-Kultur.

Sein musste es hingegen offenbar und bedauerlicherweise, den Körpersprache-Experten Samy Molcho für die ARD-Sendung „Christiansen“ aus der Versenkung zu holen und ihn die Gestik des Kanzlers und seiner Rivalin beurteilen zu lassen. Molcho plauderte drauflos von den willensstark vorgereckten Händen der Kandidatin, von der Gefühlshand des Kanzlers in der Hosentasche und von seiner rationalen Rechten – ohne auch nur im geringsten darauf einzugehen, dass solche Küchengestologie möglicherweise bei sich unbeobachtet fühlenden Kommunikationslaien funktionieren könnte, aber nie im Leben bei Politprofis, die wochenlang auf genau diese Duellsituation vorbereitet wurden von Leuten, die von Gestik sogar noch etwas mehr verstehen als der Herr Molcho.

Die Mimik von Schröder und Merkel blieb im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten. Der Kanzler griente vor sich hin, die CDU-Chefin versuchte sich im Lächeln und konnte auch in schwachen Momenten ein komplettes Entgleisen ihrer Gesichtszüge vermeiden. Das Übliche eben. STEFAN KUZMANY

War es nur ein Fernsehereignis?

Ja, es war ein Fernsehereignis – aber was heißt „nur“? Wer glaubt, dass TV-Duelle direkt auf die Sphäre des Politischen durchschlagen können, der überschätzt das Medium Fernsehen und unterschätzt es zugleich.

Er überschätzt es, weil die Rezipienten nicht hilflos an die Fernsehgeräte angeschlossen sind. Die Zuschauer wussten Sonntag sehr wohl, dass Angela Merkel und Gerhard Schröder unterschiedliche Aufgaben hatten. Merkel musste ihre Telegenität beweisen; Schröder, dass seine Tricks noch funktionieren. Sie traten, so gesehen, gar nicht gegeneinander an, sondern gegen die Erwartungshaltungen der Zuschauer. Dass hier einer als strahlender Held zum Wahlsieg getragen wird, war in der Gesamtdramaturgie gar nicht vorgesehen – wahrscheinlich hätte einer von beiden einen Moderator würgen müssen, bevor es dazu hätte kommen können.

Er unterschätzt das Medium aber auch. Denn der Sonntagabend zeigte ganz nebenbei, wie sehr sich Politiker mittlerweile anstrengen müssen, um das Fernsehen für sich nutzbar zu machen. Neben der Faktenlernerei müssen sie etwas Paradoxes hinbekommen: eine authentische Inszenierung. Folgendes Pingpongspiel mit den Zuschauern müssen sie bedienen: Ich weiß, dass du weißt, dass ich hier nur eine Rolle spiele, aber hör mir mal zu, in diesem Rahmen will ich authentisch sein. Nicht das Medium, wie McLuhan meinte, aber die Lust, in ihm mitzutun, ist hier die Message. Mag sein, dass sie allein keine Wahlen entscheidet. Aber ohne sie geht’s gar nicht. DIRK KNIPPHALS

War der Kandidat zu menschlich?

Seine Stimme ging in den Minuten vor der Show unter, aber was er sagte, sei doch notiert: Die Zuschauer möchten die Kandidaten kennen lernen – als Menschen. Meinte Ian Johnson, Jahrgang 1962 und Deutschlandkorrespondent des Wall Street Journal. Klar, Hans-Ulrich Jörges vom Stern konnte darauf nicht eingehen, er will den Wechsel, Menschliches hin, Programmatisches her.

Vielleicht liegt der Amerikaner doch treffender: Gestern morgen in der U-Bahn und in Cafés redeten vor allem die Frauen, tuschelten und erörterten, ob nämlich des Kanzlers Liebeserklärung an seine Frau okay war. 70 Prozent fanden „ja“, der Rest war sich nicht einig: „Ich weiß nicht, aber das war doch sehr privat.“ Gemein war aber allen, dass sie Anteil an der Attacke wider Doris Schröder-Kopf nahmen. Und nicht an Merkel.

Aber konnte sie was dafür? Warum fragt sie auch niemand nach ihrem Mann, nach Wagner und deutschem Liedgut, nach ihren persönlichen Dingen … ach, das soll man nicht? Weil es peinlich sei? Haben Sie umgeschaltet, weggezappt? Eben. Dann haben Sie auch nicht vergessen, dass Schröder auf seinen Lebensweg hinwies und auf die Menschen, die es ähnlich wie er machen wollen: aufsteigen.

Was wissen die Menschen über Merkel? Nichts. Sie ist kein Zombie, das räumt man ein: Aber ist das schon ein politisches Argument? Ian Johnson hat, anders als die ins Konservative verliebten Kollegen aus Deutschland, vermutlich ein gutes Gefühl: Schröder hat keine Chance, aber er nutzte sie. JAN FEDDERSEN

Hat die Kandidatin das Format verändert?

Die verbreitete Ansicht, das Fersehduell habe keine neuen Einsichten gebracht, ist ein Irrtum. Nur die neugewonnenen Erkenntnisse über die Protagonisten halten sich in Grenzen. Aber das Interessante am Duell sind ja sowieso nicht Schröder und Merkel. Das Interessante am Duell ist das Duell: Ein Fernsehformat verändert sich.

Dabei ist das Duell kein originäres Fernsehformat. Noch 1960 wurde das Duell in den USA sowohl im Fernsehen als auch im Radio übertragen. Bis heute funktioniert das Format weniger nach Fernsehregeln als nach amerikanischen Regeln. Die Dualität der Kontrahenten spiegelt das amerikanische Zwei-Parteien-System, die Fokussierung auf die Spitzenkandidaten die amerikanische Wahl zwischen Personen und nicht Parteien, die reglementierte Form die angelsächsische Idee, Fairness entstünde durch gleiche Regeln.

Seit dem – späten – Export des Formates nach Deutschland können die Amerikaner allerdings von uns lernen. 2002 stellte sich die Frage, ob ein Sieg im Duell sich auch im repräsentativen System im Wahlergebnis niederschlägt. Schröder schlug Stoiber und drehte die Wahl.

2005 fragen sich die Beobachter: Verändert die Teilnahme einer Kandidatin das Format? Dass Merkel ihre beschränkten Möglichkeiten ausschöpfte und gegen Schröder verlor, jedoch nicht unterging, gibt hier wohl nur einen ersten Hinweis. Wie eine Frau die Möglichkeiten eines Fernsehduells wirklich für sich nutzen kann, werden wir wohl erst 2008 erfahren: wenn Hillary Clinton antritt. ROBIN ALEXANDER