Mythos Störtebeker: Der angebliche Robin Hood der Meere

Über Klaus Störtebeker gibt es viele Geschichten, aber wir wissen nur wenig. Populär bleibt er trotzdem. Der gute Pirat ist eine gute Projektionsfläche.

Illustration: Klaus Störtebeker marschiert kopflos

Mit oder ohne Kopf – wer soll das heute schon so genau wissen? Foto: Imke Staats

HAMBURG taz | Störtebeker ist nicht totzukriegen. Im Museum für Hamburgische Geschichte etwa kommt es vor, dass Kinder im Piratenkostüm durch die Gänge toben, die sich diebisch freuen, wenn sie endlich den Störtebeker-Schädel gefunden haben. Da steckt sogar noch der Nagel drin, mit dem der Kopf des Piraten am Hamburger Grasbrook 1401 in der heutigen Hafencity aufgespießt war, weil sich die Hanse so freute, dass sie ihn endlich bekommen hatte.

Außerdem wollten die Hamburger durchs Auf-der-Erde-Festnageln verhindern, dass der Seeräuber als ewiger Wiedergänger herumlief und -spukte. Das hat allerdings nicht funktioniert: Klaus Störtebeker ist der Wiedergänger par excellence und bis heute der lebendigste und populärste Pirat aller Zeiten. Denn zu schön sind die Geschichten von einem, der Freibeuter, Anti-Hanse-Rebell, um nicht zu sagen APO war und parallel die Armen beschenkte. Der sich erst in letzter Minute fangen ließ und selbst dann noch Wunder wirkte, ohne Kopf an elf Kameraden vorbeimarschierend, bis ihm der Scharfrichter einen Holzblock vor die Füße warf.

Das hat man natürlich weitererzählen und aufschreiben, malen, modellieren und besingen müssen. Noch 1982 wurde in Hamburg, 1992 in Marienhafe je eine lebensgroße Störtebeker-Skulptur aufgestellt.

Wenn man gekonnt hätte, hätte man sicher auch – analog zu den Kölner Heiligen Drei Königen – seine Reliquien im ganzen Nord- und Ostseeraum als Andenken verkauft. Aber die hatte man ja nicht, und so haben Tourismus- und Marketingprofis eben Hunderte Orte an Nord- und Ostsee erfunden, an denen angeblich seine Höhle, sein Versteck, sein Schatz gelegen haben. Jeder dieser Orte hat eine Aura aus Bewunderung und Grauen; für Menschen jeden Alters ist identifikationsmäßig was dabei.

Das Anarchische muss gebannt werden

Denn das Anarchische, auch das Böse in jedem von uns muss gebannt und in eine Figur projiziert werden. Das funktioniert bis heute. Von den alljährlichen, gut besuchten Rügener Festspielen wollen wir gar nicht erst reden. Aber auch die Punkband Slime schrieb ein „Störtebeker“-Lied, die Heavy-Metal-Band Running Wild coverte es, die Hip-Hop-Gruppe Fettes Brot sang „Schon Störtebeker wusste, dass der Norden rockt und hat mit seinem Kahn hier gleich angedockt.“

Im Gruselkabinett Hamburg Dungeon zählt Störtebeker zu den Highlights, und die Vermarktung des Störtebeker-Musicals läuft wie von selbst. Denn quasi archetypisch verspürt der Hanseat eine Ur-Sehnsucht nach seinem Störtebeker, dem Trost und Ankerpunkt in einer komplexen Welt.

Hat es ihn überhaupt gegeben?

Ob es den Seeräuber wirklich so gegeben hat, mag jetzt der Ketzer fragen. Ja und nein, auch dazu gibt es viele Geschichten, einige davon erzählen wir auf den nächsten Seiten. Und wenn Sie dann all die Versionen, Varianten und Möglichkeiten kennen, dann gehen Sie am besten zurück auf Null und verehrten Ihren Störtebeker so inbrünstig wie zuvor. Denn Glauben ist schöner als Wissen, da ist die Legende wie die Religion: Was zählt, ist der Subtext, die innere Wahrheit.

Und wenn wir wegen Störtebeker auch nur ein kleines bisschen wohltätiger geworden sind als zuvor: Dann hat die Geschichte ihre Pflicht getan.

Den ganzen Schwerpunkt der taz nord über den Mythos Störtebeker lesen Sie in der taz am Wochenende am Kiosk oder am e-Kiosk.

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