Den Kopf extra weit nach oben recken

Von Basketball bis Kühlschrank: Der Kieler Medienwissenschaftler Christian Huck stellte am Samstag seine mit großer Entdeckerfreude verfasste Studie „Wie die Populärkultur nach Deutschland kam“ im Acud vor

Von Kristof Schreuf

Die Bar „Hamburg-Amerika“ am Spielbudenplatz im Stadtteil St. Pauli bot zu Anfang des 20. Jahrhunderts nichts als Neuerungen. Nie zuvor hatten Gäste in Deutschland Cocktails trinken und für so wenig Geld eine Tasse Kaffee kriegen können, und das auch noch rund um die Uhr.

Hier konnten sie ihre gesellschaftliche Stellung draußen vor der Tür warten lassen, um drinnen mit Vertretern sämtlicher Schichten feuchtfröhlichen Klassenverrat zu begehen. Was hier stattfand, veranlasste Christian Huck, Professor für Kultur- und Medienwissenschaften in Kiel, zu untersuchen, „wie die Populärkultur nach Deutschland kam“. In seinem gleichnamigen, im Textem Verlag erschienenen und am Samstagabend im Acud vorgestellten Buch beschreibt Huck diese Populärkultur sinngemäß als Möglichkeit, die überall dort beginnen konnte, wo Berufsausübung und die Erfüllung familiärer Pflichten endeten. Die Besucher der Hamburg-Amerika-Bar lieferten ihm ein sprechendes Beispiel. Denn es handelte sich zumeist um junge bis nicht mehr ganz so junge, unverheiratete Männer, die hier hocherfreut ein Medikament gegen Einsamkeit und damit einen Einstieg in die Gegenwart fanden. Doch außerhalb der Bar meldeten sich auch wenige begeisterte Stimmen, die nicht eingeschüchtert klingen, sondern als seriöse Bedenkenträger anerkannt werden wollten.

Um zu zeigen, wie sie sich anhörten, verweist Huck auf die „Soziologie der Geselligkeit“ , wie sie der Soziologe Georg Simmel entwarf. Für Simmel bot die schiere Anwesenheit anderer Menschen in einem vielbevölkerten Schankraum eben nicht die Aussicht, an den besten Unterhaltungen ihres Lebens teilzunehmen, sondern drohte im Gegenteil, „die … Geselligkeit (zu) zerstören“. Es gehört zu den schönen Verdiensten des von Huck mit großer Entdeckerfreude geschriebenen Buchs, herauszuarbeiten, wie Klemmigkeit und Überschwang im selben Moment aufeinanderprallten. Der Autor zeigt an vielen Beispielen, vom Basketball in der Universitätsstadt Bamberg über die auf dem Cover einer Satirezeitschrift Saxofon spielende, von Masken lechzend begaffte Josephine Baker bis zu US-Serien im Fernsehen der DDR, wie ang­loamerikanische Kultur sich verbessern oder unterhaltsamer werden ließ. Amerika unterbreitete Vorschläge, bis manche Europäer das Abendland untergehen sahen.

Den Höhepunkt der Veranstaltung im Acud erreicht Christian Huck, nachdem er einige dieser von ihm gesammelten transatlantischen Geschichten gelesen hatte. Nun steht er vom Lesetisch und von seinem Laptop auf, legt den gelben Pullover ab und lädt die Anwesenden im T-Shirt ein, durch die Lösung eines auf der Leinwand hinter ihm gezeigten Bilderrätsels einen Songtitel zu erraten.

Was jetzt passiert, ist absolut verblüffend. Etliche erwachsene Menschen verlieren in bester Absicht jede Contenance. Sie entdecken wieder das Spielkind in sich und denken sehr laut darüber nach, auf welches Lied die abgebildete Frau, die einen leer geräumten Kühlschrank abtaut, wohl verweisen mag. Schließlich ruft einer: „Uptown Girl!“ Mit dieser Demonstration von Populärkultur gewinnt Huck mithilfe des selbstverständlich US-amerikanischen Songwriters Billy Joel sämtliche Sympathien.

Im Gespräch danach berichtet er von den Geschichten, die es nicht in sein Buch geschafft haben. „Eine dreht sich ums Essen“, sagt Huck. „Ein Restaurantbetreiber reiste auf der Suche nach Verbesserungen seines Geschäftsmodells nach Amerika. Zur Ausbildung seiner Kellner gehörte, den Blick gen Boden zu richten, sobald sie sich Gästen näherten. In Amerika erlebte er dagegen Kellner, die die Umsätze nach oben trieben, indem sie den Kopf extra weit nach oben reckten.“

Für einen weiteren Band zur Populärkultur dürfte es Huck demnach kaum an Material fehlen.

Christian Huck: „Wie die Populärkultur nach Deutschland kam: Transatlantische Geschichten aus dem 20. Jahrhundert“. Textem Verlag Hamburg, 2018, 320 Seiten, 24 Euro