Französischer Spielfilm „Bonjour Paris“: Eine Welt voller Konsequenzen

Léonor Serraille lässt in ihrem Debüt die Heldin Laetitia Dosch kaum aus den Augen. Diese dient als Fixpunkt für Fragen einer ganzen Generation.

Zwei Frauen vor einem Spiegel

Letitia Dorsch alias Paula (links) ist im Film allgegenwärtig Foto: Eksystent

Wegschauen ist keine Möglichkeit. Laetitia Dosch alias Paula ist fast in jedem Moment des Films zu sehen. Denn „Bonjour Paris“, das Spielfilmdebüt von Léonor Serraille, fühlt sich der jungen Frau und ihrem Blick auf das Leben ganz und gar verpflichtet. Alles spielt sich in ihrer Nähe ab, in einer Art absoluter Gegenwart und gleichermaßen in einem unmittelbar gegenwärtigen Paris.

Die Eindrücke der Stadt sind für sie gerade ziemlich unsortiert. Denn Paula war in Mexiko und kehrt nun mit einer chaotischen Bruchlandung in die Stadt zurück. In eine Stadt, die keine Menschen mag, meint Paula einmal. Als sie in der Eröffnungsszene ihren Kopf gegen die Tür ihres Exfreunds knallt und bewusstlos wird, verschwindet für einen Moment das Bild.

Gleich danach, in der Notaufnahme, starrt sie mit ihren zweifarbigen Augen frontal in die Kamera und feuert ihren Frust einem Krankenpfleger um die Ohren. Sie hasst die Stadt und sie hasst Frankreich. Aber sie kann sich anpassen, natürlich. Sogar in schwierigen Situationen. Der Film ist die Probe aufs Exempel, denn derlei Situationen wird es viele geben.

Paula sitzt auf der Straße, muss die Geduld ihrer Freunde strapazieren, irgendwie an Geld kommen, sich nach den nächsten Schritten fragen. Denn ihr Ex Joachim ist ein angesehener Fotograf und hat sie ausgehalten. Das scheint nach einem wütenden Schlagabtausch vorbei. Entlang ihrer Reise und überall in der Stadt bläffen sie jetzt Poster und Zeitungsartikel über ihn an, als wäre diese vermaledeite Stadt nur dazu da, sie weiter zu provozieren. Noch dazu hat sie Joachims Katze am Hals, eine exzentrische Gestalt, weiß und plüschig, mit einer komplizierten Ausstrahlung.

„Bonjour Paris“. Regie: Léonor Serraille. Mit Laetitia Dosch, Souleymane Seye Ndiaye u. a., Frankreich 2018, 97 Min.

Léonor Serraille weiß, dass ihre Heldin keinen Sinn für Grenzen kennt, und hat den Film diesem Temperament gemäß als Skizze entworfen, in der lose Szenen aufeinanderfolgen und viele Auslassungen möglich sind. Ihre Heldin nimmt sie dabei nicht nur als Figur ernst, sondern als Fixpunkt für ihre Fragen an eine Generation und an die größte Stadt Frankreichs: Paula setzt mehr als die Stimmung des Films, sie setzt auch die Farben.

Ganze Räume, die ganze Welt, sie passen sich dem Orange ihrer Haare an. Immer wieder sucht Kamerafrau Emilie Noblet Antworten auf die Farbtöne ihrer Augen. Paula, wie sie lebt und die Stadt erspürt, wie sie eine emotionale Unmittelbarkeit gegen alle Widerstände durchsetzt und sich nie den vermeintlichen Ausweglosigkeiten der Stadt ergibt. Sie spart in der Tat nicht damit, der filmischen Welt um sie herum den Mittelfinger zu zeigen. Diese Paula ist eine philosophische Ansage. Daher auch der Originaltitel des Films: „Jeune femme“, junge Frau.

Wie schnell geht Nähe?

Besonders im Hinblick auf den naheliegendsten Vergleichsfilm der jüngeren Vergangenheit, Noah Baumbachs „Frances Ha“, erscheint Léonor Ser­railles Film in seiner sozialrealistischen Ungefälligkeit beachtlich. Weil hier das Spiel mit dem biografischen Fehlschlag und der Alltagsblick auf das Künstlerische nicht einfach auf Pointen hin zugespitzt werden.

Statt einer Leichtigkeit des Scheiterns sucht Serrailles Film nach einem profunden Sinn für Aufgewühltheit, Rastlosigkeit und einer damit untrennbar verbundenen, einer sich daraus speisenden Widerständigkeit. Paula wird nicht einfach als grundsympathisch inszeniert, sondern als unberechenbar, borstig und mitunter aggressiv bis hin zur Selbstverletzung. Nachdem sie anfangs den Kopf gegen die Wand schlägt, bleibt ihr die Wunde den gesamten Film über erhalten. Was im Film geschieht, das hinterlässt innerliche wie äußerliche Spuren. Diese Welt soll als Welt voller Konsequenzen erscheinen.

Nachdenken über ein neues Leben

Es gibt dennoch die thematischen Spitzen. „Bonjour Paris“ reiht sie auf, die Bausteine des selbstgewählten, prekären Großstadtlebens Anfang 30, veranschaulicht anhand von Paulas Biografie und den Biografien, denen sie auf ihrer Reise begegnet. Und wie die Tänzerin Frances Ha hat auch die Kunststudentin Paula die klaren Verbindungslinien zur Ästhetik.

Paulas Dialog mit Joachim über Fotografie kostet, nur für einen Moment, die Möglichkeit von Schönheit und Liebe im Bild. Sie spricht von sich als seinem Modell, von Schaum-Kitsch und von Arbeiterfotos. „Selbst die“ seien schöner als die Bilder der gemeinsamen Beziehung – nicht wirklich ein Kompliment. Bei der Verhandlung mit einer Krankenschwester schwingt die Frage mit, wer sich denn eigentlich fremd ist in der Stadt und wie schnell es Nähe und Freundschaft geben kann.

Und dann ist da das Nachdenken über neues Leben. Paula meint, ein Kind muss mitten im Lärm geboren werden, mitten im Geschehen. Doch was ihr eigentlich zu schaffen macht, ist die Wehmut für das nicht Erlebte, für das, was noch kommt, wenn sie ihren Sinn für sich weiter behauptet in der unwirtlichen Stadt: die Geburt eines neuen Gefühls.

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