Restaurantkritik-Serie „Auf die Mütze“ (7): Der Senf vom Gast

Gastrokritiker, das waren früher Experten in geheimer Mission. Im Internet können das nun alle – und Köche in den Wahnsinn treiben.

Zeichnung eines Roboters, der einen Löffel zerbricht

Das Internet lässt Köche leiden Illustration: Larissa Hoff

Kürzlich kam ein Koch aufgebracht an meinen Tisch und zeigte mir, was ein Gast über ihn auf TripAdvisor geschrieben hatte. Er sei „unhöflich“ stand da, „aufdringlich“ zu den Gästen und außerdem hätte „das Essen nicht geschmeckt“. „So etwas“, schimpfte der Koch, „muss ich mir gefallen lassen, weil jeder Idiot im Internet schrei­ben darf, was er will.“

Abgesehen davon, dass ich das Verhalten des Kochs mir gegenüber als etwas unhöflich, ja geradezu aufdringlich empfand, weil ich eigentlich in Ruhe mein durchaus schmackhaftes Essen genießen wollte, musste ich ihm recht geben. Ob auf TripAdivsor, Yelp oder anderen Bewertungsportalen – im Netz findet inzwischen das größte und vielleicht auch wirksamste Ranking für die Gastronomie statt.

Jeder darf seinen Senf dazugeben. Traditionelle Restaurantführer wie „Michelin“, „Gault&Millau“ oder „Slow Food“ haben ihr Allein­stellungsmerkmal längst verloren. Aber sind sie deswegen überflüssig?

Als ich noch nicht diese Kolumnen schrieb, als ich also noch arm und jung war und mir die aktuelle Ausgabe eines Restaurantführers nicht leisten konnte, kaufte ich mir im Antiquariat immer die Führer vergangener Jahre. Ich hoffte, dass der Wirt noch nicht verstorben war und sich auch sonst wenig geändert hatte. Manchmal hatte ich Glück. Oft stand ich aber auch vor verschlossener Tür, weil sich zumindest die Öffnungszeiten verschoben hatten. Das passiert heute niemandem mehr, mit zwei, drei Klicks kann man sich die Infos über ein Restaurant aus dem Netz holen.

„Lecker“, „freundlich“, „gerne wieder“

Bin ich irgendwo fremd und hungrig, schaue ich meist auf Google Maps nach einem Restaurant in der Umgebung. Dort stehen dann ebenfalls „Bewertungen“ durch frühere Gäste, sogar Sternchen darf man da vergeben. Das Personal ist meist „freundlich“, das Essen „lecker“ und „gerne wieder“.

"Sehr unfreundlicher Chef, miese Pizza. Pizzateig war zum größten Teil noch roh, ließ ca. 2/3 davon auf dem Teller liegen. Auf dem Teller meiner Frau das Gleiche. Auch viele andere Gästen aßen nur etwa die Hälfte ihrer Pizzen." (Pizzeria in Wilhelmshaven)

"Achtung Vogelkacke/Furz. Vögel kacken und furzen auf das Essen. Das ist nicht mehr normal. Die fliegen einfach vorbei und kacken/furzen auf mein Essen. Essen war aber okay." (Burgerladen in Berlin)

"Don’t waste your money. It was really, really bad. We had the pig knuckle. We have had it in the past in Munich, but this didn’t even come close." (Wirtshaus in Köln)

"Ewige Schlange für labbriges Gemüse-Schawarma. Keine Ahnung, was die Leute dort hintreibt. Eine kleine Bude an einer großen und stickenden Straße …" (Kult-Döner in Berlin)

Mit solchen Angaben kann ich nicht wirklich etwas anfangen. Sie sagen nur etwas über das Unvermögen der meisten Menschen aus, die richtigen Worte zu finden. Vor allem aber wird man oft den Verdacht nicht los, die ­Besitzer des Restaurants hätten ihre Bewertungen selbst geschrieben. Nichts leichter als das: Man ­bittet Freunde um einen gefälligen Eintrag, und schwuppdiwupp ist man ein Google-Sternchen höher geklettert.

Die Qualität der Bewertungen steht oft in krassem Gegensatz zur Qualität des Essens. Das funktioniert auch umgekehrt: So finden sich beispielsweise auf TripAdvisor auch solche Einträge zu dem derzeit vielleicht besten deutschen Restaurant, dem Aqua in Wolfsburg, die vor allem etwas über deren Autoren aussagen. Wenn sich beispielsweise ein Nutzer namens Flitzekater1 darüber beschwert, dass die Weinpreise „erschreckend hoch“ waren und gleichzeitig mitteilt, dass er sich die Weinkarte gar nicht erst hatte zeigen lassen, der wird wohl auch schon bei früheren Intelligenztests durchgefallen sein.

Wenn der „Inspektor“ kommt

Abseits der großen Portale hält der Trend zum eigenen Gastroblog an. Manche dieser Blogs lassen schon durch ihren Namen die Denk- und Geschmacksrichtung ihrer Erzeuger erkennen: sternefresser.de, restaurantinspektor.com oder restaurant-kritik.de, wobei die Seite mittlerweile von Yelp übernommen wurde.

Wer aber als „Inspektor“ auftritt, der wird auch eine Pizza mit dem Zollstock vermessen, und tatsächlich findet man auf dem Blog so wundersame Notizen wie: „Die Pizza war rund und cross am Rand.“ Am Rand zum Wahnsinn muss sich mancher Wirt fühlen, der solche Einträge über sein Lokal lesen muss. Wehren kann er sich kaum. TripAdvisor versichert zwar, dass man auf offensichtlich falsche oder un­flätige Einträge achtet. Bei weltweit 4,2 Millio­nen erwähnten Restaurants dürfte das Versprechen aber kaum einlösbar sein.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband bietet inzwischen seinen Mitgliedern Schulungen darin an, wie sie auf schlechte Kritik im Netz am besten reagieren. Dabei werden sie gewarnt, selbst bei offensichtlich unbegründeter Kritik nicht ausfällig zu werden und immer höflich zu bleiben.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Es wäre aber ungerecht, alle „Leser-Kritiker“ über einen gebratenen Schweinekamm zu scheren. Es gibt unter ihnen auch echte Kenner und gute Schreiber. Einen meiner Lieblingshobbykritiker lese ich immer auf der Website www.tischnotizen.de. Dort beschreibt das Schlemmermaul Thomas Westermann, was er auf seinen Reisen zusammen mit seinem Mann in noblen Restaurants vorgesetzt bekommt. Und das Resultat ist teilweise gescheiter als das, was mancher Profi von sich gibt.

„Sehr geehrter Flitzekater1 …“

Der Saalchef des Aqua in Wolfsburg, Jimmy Ledmazel, hat übrigens für den Gast, der sich auf TripAdvisor über die hohen Weinpreise beschwerte, eine Antwort hinterlassen. „Sehr geehrter Flitzekater1“, schreibt er, „mit großem Bedauern“ habe man diesen Kommentar gelesen. „Wir sind bemüht uns kontinuierlich zu verbessern, daher würde ich mit Ihnen gerne persönlich über das Erlebte sprechen, sofern es Ihre Zeit erlaubt.“ Es folgt seine Telefonnummer.

Über die Höflichkeit des Servicepersonals lässt sich bei einer solchen Antwort kaum noch diskutieren.

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