Halbfinale Champions League: Schmerzen in Reihe 22

Die miese Chancenverwertung tat sogar auf der Tribüne weh. Beim 1:2 der Bayern gegen Madrid litten auch die verletzten München-Profis.

Franck Ribéry und andere Spieler

Ribéry rennt, Real läuft hinterher, doch am Ende siegt Madrid Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Irgendwann sagt David Alaba dann: „Scheißdreck, eyh.“ Damit war die Partie aus Bayern-Sicht bündig zusammengefasst. „Ein rechter Scheißdreck war’s.“ Der Lieblingssatz aller Monaco-Franze-Fans traf diesmal auch auf das Halbfinale gegen Real Madrid zu.

Das sahen auch die drei Herren in Block 105, Reihe 22, so. Da saßen, mitten im gemeinen Journalistenvolk, die Angeschlagenen Alaba, Kingsley Coman und Arturo Vidal. Ein illustres Hinguckertrio: Vidal mit seinem Irokesen, Krücken, Schiene ums rechte Knie, plus dicker Goldkette, goldener Uhr, und selbst die Stacheln auf den Sneakern leuchteten gülden. Alaba und Coman, beide in stilvollen zerrissenen Jeans, sahen zumindest obenrum ganz dezent aus, abgesehen von Alabas Hemd mit Flamingomuster.

Wie sie das Spiel der Arbeitskollegen erlebten? Vidal hatte in den 96 Minuten mindestens vier Dutzend Mal zu viel Gewicht auf dem operierten Knie, Alaba stand nach zig Schlägen gegen die Rückwand mehrmals vor einem Handbruch, nur Comans Ärger verschwand hinter den beiden anderen Berserkern. Sie alle wissen: Wer ­gegen Real Madrid so viele Chancen auslässt, steht am Ende ziemlich blöd da.

So standen sie dann auch da – vor den Mikros, Kameras und Smartphones. „Wenn man sieht, wie viele Chancen wir haben liegen lassen, dann muss man von den eigenen Unzulänglichkeiten sprechen“, sagte Thomas Müller, der in Sachen Unzulänglichkeiten an diesem Abend in der Tat weit vorne lag. Dass die Chancenverwertung gerade in einem Champions-League-Halbfinale mies ist, sei „ein ganz schlechter Moment“, gestand Müller und sprach von einem „schwer zu verdauenden Spiel. Wir müssen sauer auf uns selbst sein. Wir haben Real leben lassen. Die sitzen jetzt in der Kabine und wissen selbst nicht, wie sie das Spiel gewonnen haben.“ Real-Kollege Toni Kroos konnte dem nur fröhlich zustimmen: „Das Ergebnis ist schon etwas glücklich.“

Ohne Außenstürmer, aber mit Verteidiger

Dabei hatte alles so prima begonnen: mit Spektakelfußball à la Liverpool. Schon nach Sekunden passte Robert Lewandowski am Fünfer zu Müller: zu unpräzise. Egal, plötzlich herrschte ein beinahe anfieldmäßiger Stadionroar, den man in der Arena nur selten erlebt. Das frühe Aus für den höchstmotivierten Arjen Robben (8.) gab dem bayerischen Sturm und Drang einen Knacks, denn fortan musste man ohne Rechtsaußen auskommen – Müller kann das draußen an der Linie einfach nicht auf dem Niveau, und Coman saß nun mal in Block 105, Reihe 22.

In Minute 28 übernahm ein Verteidiger den Job: Joshua Kimmich. Nach feinem James-Pass zischte er übers Feld und traf zur Überraschung aller Beteiligten aus Flankenposition gegen den Spekulanten im Real-Tor, Keylor Navas. Doch damit war der Bayern-Dusel aufgebraucht. Von nun an ging’s bergab. In Minute 34 musste der zuletzt in WM-Form aufspielende Jérôme Boateng verletzt raus, zehn Minuten später traf Marcelo, nachdem die gesamte Bayern-Abwehr auf einen Ronaldo-Fallrückzieher gewartet hatte, und in Minute 57 unterlief Rafinha der Bock des Tages, der im 1:2 durch Asensio mündete. Harte Zeiten für die Rückwand in Block 105, Reihe 22.

Willensstärkster Mann auf dem Platz war wieder einmal Franck Ribéry. Kein gutes Zeichen für den FCB, wenn ein 35-Jähriger der aktivste Spieler ist

13 Bayern-Torschüsse stehen in der Statistik – „Ich habe selten eine Madrider Mannschaft gesehen, die so viel zugelassen hat“, meinte Jupp Heynckes. „Normalerweise sind wir mit unseren Chancen sehr effizient. Das waren wir heute leider nicht.“ Womit wir bei Robert Lewandowski wären. Die Gerüchte um seinen Wechsel zu Real halten sich ausdauernd, doch an diesem Abend hat er die Werbung in eigener Sache ordentlich vermasselt. 39 Pflichtspieltore: klingt toll – wenn man vernachlässigt, dass es in der Champions League nur fünf sind.

Kehlige Rufe von der Tribüne

Der Pole war nicht der Einzige, der unter seinen Möglichkeiten blieb. Da ist zum Beispiel Thiago Alcántara. Ein Techniker vom Feinsten, doch allein seine Körpersprache passt nicht zu einem Halbfinale der Königsklasse, und Vidals kehlige Rufe aus Reihe 22 deuten darauf hin, dass er das sachte Traben Alcántaras ganz ähnlich beurteilte. Anders dagegen James Rodriguez: Der vermag die Kugel genauso zart zu streicheln, kann und will aber auch seinen Körper einsetzen, wenn es sein muss.

Ungeschlagen in dieser Disziplin war mal wieder Franck Ribéry, der mit großem Abstand willensstärkste Mann auf dem Platz. Kein gutes Zeichen für den FCB, wenn ein 35-Jähriger der aktivste Spieler ist.

57 meist tiefenentspannte Spiele lang fragte man sich, wie stark der FC Bayern in dieser Saison eigentlich ist. Nach Match 58 ist klar: nicht so gut, abgezockt und effizient wie Real Madrid. Aber die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Wie meinte Alaba kurz vor Schluss: „Wir machen noch einen!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.