Einen Filmschatz bewahren

Das Videodrom ist eine Kreuzberger Institution. Streamingdienste können mit der Vielfalt der Filmkunstsammlung nicht konkurrieren. Doch die Zahl der Ausleihen reicht nicht mehr

Karsten Rodemann hofft auf neue Clubmitglieder für sein Videodrom Foto: Roman Kutzowitz

Von Tilman Baumgärtel

„Dem Videodrom steht das Wasser bis zum Hals“ steht auf der Facebookseite der Kreuzberger Videothek, die seit knapp dreißig Jahren Berliner Cineasten mit Filmkunst und Kultstreifen versorgt. Die Ladenmiete ist zuletzt wieder angehoben worden, gleichzeitig geht die Zahl der Ausleihen weiter zurück. Internetfirmen wie Netflix oder Amazon streamen Filme und Serien zu einem monatlichen Festpreis auf Computer, Tablet oder Smartphone, ohne dass man dafür noch das Haus verlassen müsste.

„Der Sommer war für Videotheken immer eine Flautezeit“, sagt Videodrom-Inhaber Karsten Rodemann, „und das hat uns jetzt so hart getroffen, dass wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, denn langsam wird es existenzgefährdend für uns.“ Über 20.000 Euro Schulden sind inzwischen aufgelaufen, und es werden monatlich mehr. Rodemann: „Wir wollen unseren Traum von einem Laden noch nicht begraben, denn dafür ist es einfach zu wichtig, was wir uns in 34 Jahren aufgebaut haben.“

Denn das Videodrom ist eine Kreuzberger Institution. 1984 in der Zossener Straße eröffnet, bald in eine ehemalige Eckkneipe in der Mittenwalder Straße umgezogen, wo sich in den 90er Jahren an Wochenenden abends Schlangen an der Ausleihe bildeten. Zu dieser Zeit wurde in der Videothek noch geraucht, und es herrschte strengstes Jugendverbot – denn in den Regalen standen offen in Deutschland indizierte Filme, die in den frühen Jahren des Videodroms einen wichtigen Schwerpunkt des Programms bildeten. 1999 wurde der Laden wegen Verbreitung von jugendgefährdendem Material für drei Wochen von der Polizei geschlossen.

Seit die Videothek in freundliche, lichte Räume in der Friesenstraße umgezogen ist, kann man hier mit der ganzen Familie nach Filmen suchen. Auf den DVD-Covern haben die Mitarbeiter liebevoll ihre Favoriten mit Kommentaren versehen und beraten. Indizierte Filme sind ins Lager verbannt. Dafür gibt es die neuesten Marvel-Filme, preisgekrönte Dokumentationen, aktuelle Fernsehserien, Filmklassiker und das Neueste aus dem Independent-Kino. Auf einem Regal stehen Empfehlungen, die sich auf aktuelle Filmerfolge beziehen, zum Beispiel der alte „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ oder eine Trickfilmversion von „Black Panther“.

In den Regalen finden sich auch dicke Ordner, die die kompletten Filmografien von Autorenfilmern wie Godard, Kurosawa, Agnès Varda oder Michael Haneke enthalten. Über 30.000 Filme hält das Videodrom vor. „Dabei sind auch Tausende von Filmen, die noch nie ausgeliehen wurden“, sagt Rodemann, denn man ist bemüht, eine möglichst vollständige Sammlung von Filmkunst anzubieten.

Das alles könnte nun verschwinden, wenn es dem Video­drom nicht gelingt, neue Einnahmequellen zu erschließen. Rodemann hofft, dass der Hilferuf im Internet wieder mehr Leute dazu bringt, bei ihm Filme auszuleihen. Darum gibt es nun eine Clubmitgliedschaft, bei der man für 25 Euro im Monat täglich einen Film ausleihen kann und diese auch nicht immer am nächsten Tag zurückbringen muss. Wem das zu viel ist, kann eine Zehnerkarte kaufen.

Wem das im Vergleich mit Streamingdiensten teuer erscheint, den verweist Rodemann darauf, dass man bei Netflix neben den beliebten Serien-Eigenproduktionen nur eine Auswahl von wenigen Tausend Filmen finden würde: „Das Videodrom war nie ein ganz normales Verleihgeschäft. Wir verstehen uns als Kulturinstitution, das die ganze Filmgeschichte und sämtliche Filmländer abbildet. Bei den Streamingdiensten begibt man sich in die Hand von Konglomeraten, die ihre eigenen finanziellen Interessen verfolgen. Dann ist man darauf angewiesen, was diese Großkonzerne anbieten, und die können dann entscheiden, was man noch sehen kann. Wir behalten auch unpopuläre Sachen im Angebot.“

In den Regalen finden sich auch dicke Ordner mit kompletten Filmografien von Autorenfilmern wie Godard, Kurosawa, Haneke oder Agnès Varda

Statt von einem Algorithmus mit Empfehlungen bombardiert zu werden wie bei Netflix, bekommt man bei Videodrom Rat von Filmexperten, die auch bei der Recherche helfen.

Nicht nur das Videodrom spürt die Krise der Videotheken. In Kassel schloss Ende 2017 die älteste Videothek Deutschlands, und in Berlin macht der ehemalige Marktführer Videoworld derzeit eine Filiale nach der anderen dicht. Laut Amt für Statistik ging die Zahl der Vi­deotheken in Berlin zwischen 2011 und 2015 um ein Fünftel auf 41 ­zurück. In ganz Deutschland gab es 2011 noch 2218 Videotheken, 2016 waren nur noch 914 übrig.

Auch die spezialisierten Anbieter für Filmkunst tun sich zunehmend schwer. In Berlin hat bereits 2015 das Negativeland in Prenzlauer Berg geschlossen. Das Fitzcarraldo in der Reichenberger Straße in Kreuzberg bietet neben dem DVD-Verleih auch ein Café und eine Bar. Doch Kaffee ausschenken will Karsten Rodemann nicht: „Cafés gibt es in unserer Gegend schon genug, und von dem Geschäft verstehe ich auch nichts.“

Noch hat man beim Videodrom die Hoffnung nicht aufgegeben: „Wir sehen es als unsere Verantwortung an, den großen Filmschatz, den wir über Jahrzehnte angesammelt haben, auch in Zukunft zur Verfügung stellen zu können“, steht auf der Facebook-Seite der Videothek. Und Karsten Rodemann sagt: „Ich hoffe immer noch, dass ich das Videodrom betreiben kann, bis ich in Rente gehe.“ Man würde es ihm wünschen.