„Tradition können wir ändern“

GLAUBE In Schweden können sich homosexuelle Paare nun auch in der Kirche trauen lassen – etwa von Eva Brunne, der weltweit ersten lesbischen Bischöfin. Im sonntaz-Gespräch erklärt sie, warum das völlig in Ordnung so ist

Ihr Leben: Geboren am 7. März 1954 in Malmö. Theologiestudium, danach sechzehn Jahre Pastorin in einer migrantisch geprägten Gemeinde in Stockholm. Verheiratet mit der Theologin Gunilla Lindén, die einen Sohn mit in die Beziehung gebracht hat.

Ihr Amt: Am 8. November in Uppsala Ordination zur Bischöfin. Im Frühsommer war sie von den Delegierten der Stockholmer Diözese dazu gewählt worden.

Ihr Land: Seit Mai 2009 gilt in Schweden ein geschlechtlich neutrales Eherecht, vom Parlament gegen die Stimmen der Christdemokraten verabschiedet. Es heiraten zwei Menschen, nicht mehr Frau und Mann. Die protestantische Staatskirche hat sich dieser Rechtlichkeit angeschlossen. Die Trauformel ist grundiert durch den Spruch „har du skapat människor till din avbild“ – „Du hast die Menschen als dein Abbild geschaffen“. Das Jawort geben sich einander „äktar maka“, Eheleute, nicht mehr Mann und Frau.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

Ein Freitag in der Stiftskanzlei der Stockholmer Diözese der schwedischen Kirche. In der Klara Södra Kyrkogata, gleich hinter der Parkmauer der schönen Klara Kyrka, arbeitet sie – Eva Brunne, 55 Jahre, die im Frühsommer von der Synode ihres Kirchenkreises zur Bischöfin gewählt wurde. Sie kommt pünktlich, in Jeans, die Haare offen, unter dem blauen Sakko trägt sie ein Boomerang-Hemd, sie ist schmal in der Erscheinung, ihr Lächeln freundlich.

Eva Brunne: Hej!

taz: Wie spreche ich Sie an – in der üblichen schwedischen Du-Form?

Eva Brunne: Als Eva. Das ist bei uns so üblich. Aber mir ist jede Anrede recht.

Und wie sprechen die Menschen Sie hier an: Eva, Frau Bischöfin – oder etwa als Eure Exzellenz?

Das wurde schon alles gemacht, aber noch bin ich ja keine Bischöfin.

Aber in ein paar Tagen.

Ich hoffe, sie sagen weiterhin Eva, das ist schließlich mein Name. Aber sicher werden mich viele als Bischöfin ansprechen, oder eben beide Anreden benutzen.

Haben Sie damit gerechnet, zur Bischöfin von Stockholm gewählt zu werden?

Mit einigen Stimmen habe ich gerechnet, ja. Aber nicht mit einer Mehrheit. Ich war nur eine von acht Kandidaten.

Mussten Sie einen Wahlkampf führen?

Wir sind da eher zurückhaltend und melden uns nur zu Wort, wenn wir etwas gefragt werden. Am Anfang des Wahlprozesses gab es eine Anhörung mit uns allen, aber bis zu den Wahlen wird erwartet, dass wir nichts weiter sagen.

Hat man Sie danach gefragt, wie es für Sie ist, mit Ihrer Partnerin zusammenzuleben und ein Kind mit ihr zu haben?

Ja, danach hätte gefragt werden können. Aber so weit ich mich erinnere, hat sich danach bei mir niemand erkundigt. Wenn überhaupt, dann ging es darum, ob ein Bischof überhaupt Kinder haben sollte.

Wie das? Wir in Deutschland können schwer nachvollziehen, weshalb Schweden so viel liberaler scheint.

Wir hatten in Stockholm etliche Bischöfe, die bei homosexuellen Messen, beim Stockholm Pride etwa, gepredigt haben. Diese Persönlichkeiten und ihre Auffassung von Theologie haben die Geschichte der Diözese Stockholm beeinflusst, sodass mein Fall heute einfach kein Problem mehr ist.

Es gibt in Schweden, außerhalb von Stockholm, viele Freikirchen, die Homosexualität ablehnen.

Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Ich habe von vielen Leuten gehört, dass das Leben in der schwedischen Provinz nicht so einfach sein soll. Sehr viele Homosexuelle sind auf der Suche nach einem besseren Leben nach Stockholm umgezogen.

Waren Sie überrascht, gewählt worden zu sein?

Ja, in der Tat. Vorher war ich sehr unsicher.

Aber gehofft haben Sie, oder?

Klar, sonst hätte ich mich nicht aufstellen lassen. Als ich von der Wahl hörte, war ich sehr glücklich und, ja, bewegt, weil ich gefühlt habe, wie viele Menschen mich unterstützt haben.

Nun werden Sie im Dom von Uppsala in Ihr Amt eingeführt. Sind Sie ein wenig nervös, verspüren Sie Lampenfieber?

Ob es Nervosität ist, was ich empfinde? Nein. Eher bin ich ziemlich bewegt. Das wird für mich ein sehr großer Tag, und auch für die Diözese. Ich denke, dass viele für mich beten werden.

Als Sie eine junge Frau waren, konnten Sie sich überhaupt vorstellen, dass Sie ein solch hohes Amt als lesbische Frau bekleiden würden?

Nein, auf keinen Fall. Mein Coming-out war früh. Aber weder in meiner Familie noch in der Gemeinde, wo ich an Gottesdiensten teilnahm, noch irgendwo anders in meinem Umfeld wurde aus Homosexualität ein Problem gemacht.

Haben Sie in Ihrer Kirche je irgendwelche homophoben Reaktionen mitbekommen?

Nicht gegen mich persönlich, aber natürlich gab es einige Aktionen und Aktivitäten, die ich als homophob bezeichnen würde. Eben gegen Homosexuelle allgemein oder auch gegen homosexuelle Christen.

Die Sie nicht betrafen?

Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber ich denke, dass ich immer offen war und es somit nie zur Debatte stand, mir aus meiner Homosexualität einen Strick zu drehen. Das gilt wohl für alles im Leben: Wenn man selbst offen ist, werden die Leute einem das nicht vorhalten.

Sie meinen, sie werden dies im Gegenteil eher loben?

Es wird immer Leute um einen herum gegeben, die einen unterstützen, die einem, wenn nötig, die Möglichkeit einer Zuflucht bieten. Und ich finde, es sollte mir nicht besser ergehen als jedem anderen homosexuellen Christen – und darum sehe ich es als meine Mission an, für sie da zu sein und selbst diesen Rückhalt zu bieten, sollten sie ihn benötigen.

Christlichkeit und Homosexualität sind doch vor gar nicht langer Zeit sehr gegensätzliche Begriffe gewesen. Wie hat es in Schweden begonnen, dass sich die Staatskirche der Diskussion annahm?

1974 kam ein Buch heraus, das die Frage auf den Tisch brachte, wie die Kirche männlichen und weiblichen Homosexuellen begegnen sollte. Und zwar auf sehr theoretische Art. Wir haben nicht damit angefangen, über sie zu reden, sondern über Homosexualität. Und dann erschien irgendwann ein neues Buch mit dem Titel „Homosexuelle und die Kirche“.

Vermutlich mit positiven, neugierigen Bezügen?

Natürlich.

Hagelte es denn daraufhin viele Kirchenaustritte?

Bestimmt, sicher gab es da einige. Mir sind darüber aber keine Zahlen bekannt. Damals hat sich unsere Kirche in vielerlei Hinsicht neuen Einflüssen aussetzen wollen, der Befreiungstheologie beispielsweise. Auch der Feminismus mag eine Rolle gespielt haben. Kirche hat nach meinem Verständnis den Fokus zu richten auf Minderheiten und deren Rechte.

Die Kirchenaustritte …

… wird es gegeben haben. Für manche war ein Grund, die Kirche zu verlassen, dass diese sich positiv über Homosexualität äußert. Umgekehrt wäre es für viele ein Grund, auszutreten, wenn die Kirche sich negativ dazu äußern würde. Haben Sie von der gestrigen Entscheidung im Kirchenrat gehört?

Dass sich schwule und lesbische Paare in schwedischen Kirchen trauen lassen können?

Ja, das war ein großer Schritt. Leute, die mit Nein gestimmt haben, könnten wegen des Ergebnisses aus der Kirche austreten. Doch so ist das eben in einer Kirchengemeinde, die so viele Mitglieder hat. Bei sieben Millionen Mitgliedern allein in unserem Land gibt es natürlich auch viele verschiedene Ansichten.

Der Bischof von Växjö, eine Diözese im sehr ländlichen Småland, hat die Entscheidung kritisiert.

„Mit kleineren Schritten kommt man besser ans Ziel. Reform ist eine fortwährende Veränderung“

Ja, dass wir über die Folgen des Beschlusses nicht lange genug theologisch debattiert haben. Ich bin fast sicher, dass er nicht gegen die Sache an sich ist, sondern mehr Zeit haben wollte, um darüber zu reflektieren.

Es heißt, heterosexuelle Eheleute könnten sich durch eine gleichgeschlechtliche Ehe abgewertet fühlen.

Das war tatsächlich ein Argument. Für mich persönlich gibt es natürlich nichts, was wir anderen wegnehmen würden. Unser Konzept von Ehe ist ja nicht wie ein Teich, der nur eine begrenzte Anzahl von Fischen beherbergt, und wenn davon zu viele geangelt werden, bleibt für einige nichts mehr übrig. Dieses Argument gab und gibt es, aber es ist doch genau andersherum. Je mehr Menschen heiraten können, desto besser wird die Situation für alle. Das ist jedenfalls meine Ansicht.

In Deutschland sind viele Christen aus der Kirche ausgetreten – auch weil sie keine Anerkennung Homosexueller wünscht. Eine Reihe von Pastoren sagt nun, sie können nicht wieder umstandslos in die Kirche zurück – zunächst müssten sie sich mit ihrem christlichen Bild auseinandersetzen. Sehen Sie das auch so?

Ich würde sie alle wieder willkommen heißen, ohne Bedingungen. Und wenn sie selbst über die Angelegenheit reden möchten, würde ich das sehr schätzen.

Und wenn sie die Moral Ihrer Kirche nicht teilen?

Das macht keinen Unterschied. Wer getauft ist und Mitglied der Kirche werden möchte, kann das immer tun, alles andere ist in unserem System gar nicht vorgesehen. Und ich mag diese Regelung sehr.

Zurück zu Ihrem neuen Amt, zu Ihrem großen Tag. Ist Ihre Familie nervös?

Nein, niemand ist dies. Wir sind alle voller Vorfreude. Ich bin an der Planung des Gottesdienstes überhaupt nicht beteiligt. Natürlich ist meine Familie eingeladen.

Im Privaten mögen Sie Krimis, hörte ich.

Oh ja, das tue ich! Das tut doch jeder Pastor.

Ihre Lieblingsautoren?

Anne Holt und viele schwedische Autoren. Arne Dahl hat ein sehr spannendes Buch geschrieben, das in der Gemeinde spielt, in der ich mal Pastorin war. Ich mag seinen politischen Touch sehr.

Und Henning Mankell?

Den mag ich auch, allerdings nicht so sehr seine Krimis, sondern eher jene Bücher, die in Afrika spielen.

In Deutschland ist er inzwischen ein bisschen verrufen –der Mann, der eine fast zu perfekte Moral hat.

Das finde ich nicht. Nein, mir gefällt es sehr. Seine Geschichten bleiben mir oft länger im Gedächtnis als andere. Vielleicht, aber da bin mir nicht sicher, auch gerade wegen der Dinge, die Sie beschrieben haben.

Sie tischlern gern zur Entspannung, nicht wahr?

Ja, was tut man nicht alles, um Jesus Christus nah zu sein.

Was erarbeiten Sie mit Holz – Möbel?

Eher kleinere Möbelstücke. Einen Besteckkasten habe ich mal geschafft.

Womöglich auch eine Weihnachtskrippe?

Ja, aber für die Figur des Jesus habe ich eine kleine Plastikfigur genommen, um sie in die Krippe zu stellen. Für filigrane Holzarbeiten müsste ich schnitzen, aber das kann ich nicht. Sagen wir, ich bin keine Schnitzerin, sondern eine Art Schreiner in meiner Werkstatt.

Hat Ihr Kind in der Schule oder im Kindergarten irgendwelche Reaktionen von anderen Kindern auf Ihre Bischofswahl mitbekommen?

Das ist das einzige Thema, über das ich nicht sprechen möchte und keine Frage beantworte – zu unserem Kind.

Traditionelle Christen sagen, dass eine Heirat nur zwischen einem Mann und einer Frau stattfinden kann.

Tradition ist etwas, das wir ändern können. Wir haben lange Zeit gleichgeschlechtliche Paare erlebt, die zusammenleben, Gottesdienste besuchen, und nun ist es eben auch möglich, dass sie heiraten.

Bei uns heißt es seitens Konservativer, Homosexualität sei eine Art Mode. Wie denken Sie?

Mode? Natürlich sieht man heute mehr Homosexuelle. Vor fünfzig Jahren war das anders, weil sie sich verstecken mussten. Heute ist es leichter, offen zu sein, und darum sieht man sie auch viel mehr. Das hat mit Mode nichts zu tun.

„Jesus hat uns gezeigt, dass wir uns aufrichten und selbstbewusst sein können, mehr als das“

Wichtig in Ihrer bisherigen Arbeit war Ihnen die Arbeit mit muslimischen BürgerInnen – als ein Dialog der Kulturen. Kann dieser Erfolg haben?

Für uns war er bereits erfolgreich.

Inwiefern?

Ich würde sagen, wir sind mit dem Wissen in den Dialog getreten, dass wir beide einer Minderheit angehören. Das ist ein guter Ausgangspunkt. Wir haben nicht uns als Mehrheit und die MigrantInnen als Minderheit betrachtet, sondern wir waren beide Teile unterschiedlicher Minderheiten. Wir sind ins Gespräch gekommen, weil wir mehr übereinander wissen wollten: Wie sieht deine Religion aus, wie seht ihr Gott, worum geht es in eurem Glauben? Es ging auch darum, einander als Personen kennenzulernen.

Ohne zu missionieren?

Ohne Mission. Dafür mit sehr viel Neugier auf die Arbeit des türkischen Imams, den ich getroffen habe. Ich konnte sehr viel über die Herkunft seiner Gemeinde lernen. Durch Fragen, Fragen und Fragen. Auch ich komme nicht aus Stockholm und konnte viel über den Ort erzählen, wo ich herkomme. Ich komme ganz aus dem Süden von Schweden. Wir sind sozusagen beide Immigranten.

Was ist der Unterschied zwischen Schweden und Dänemark, wenn es um Migration geht? Ist Migration ein schwedisches Problem?

Ich würde das nicht als Problem bezeichnen, nein. Natürlich könnte es theoretisch für ein kleines Dorf ein Problem sein, wenn innerhalb kurzer Zeit viele Leute aus einem anderen Land dorthin ziehen. Dann müsste man sich auf sie einstellen. Aber während des Zweiten Weltkriegs kamen 50.000 Menschen aus Norwegen hierher, innerhalb eines einzigen Monats, und das war kein Problem für Schweden. Wie könnte man heute also von einem Problem sprechen? Aber es gibt natürlich politische Parteien, die Migration als problematisch ansehen und der Ansicht sind, man solle uns „Schweden zurückgeben“.

Ist diese Meinung tonangebend?

Ich weiß nicht, aber es ist der Wahlspruch der rechten Schwedendemokraten. In Dänemark scheinen diese Parteien aber viel mehr Zuspruch zu kriegen, auch in Norwegen.

Sie stehen auch als Person für eine moderne, bunte Gesellschaft. Hätten Sie sich das als junge Frau vorstellen können?

Natürlich war ich als Zwanzigjährige viel radikaler als heute mit über fünfzig. Ich stellte es mir einfacher vor, Dinge zu verändern, als ich es dann in der Realität empfunden habe. Ich denke aber auch, das geht allen jungen Menschen so. Man stellt sich vor, große Veränderungen durchsetzen zu können, wenn man es nur will.

Viele sagen ja, wer zu radikal ist, erreicht nichts.

Ich denke, mit kleineren Schritten kommt man einfacher und besser ans Ziel. Reform ist eine fortwährende Art der Veränderung – das ist eine Sicht, die wir von einem Deutschen, Martin Luther, gelernt haben.

Als Christin – was glauben Sie, würde Jesus mit den heutigen Entwicklungen einverstanden sein?

Das weiß ich nicht, und ich bin auch nicht sicher, ob alle Veränderungen unbedingt zum Positiven stattgefunden haben. Aber was Jesus uns vorgelebt hat, ist, dass es Dinge gibt, die wir Menschen tun können, um ein besseres Leben zu ermöglichen. Und das nicht nur im materialistischen Sinne, sondern auch auf das „innere Leben“ bezogen. Jesus hat uns gezeigt, dass wir uns aufrichten und selbstbewusst sein können, mehr als das.

Jan Feddersen, 52, ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben. Er lebt in Berlin – und Schweden