Neuwahlen in der Türkei: Erdoğans Ablenkungsstrategie

Wirtschaftlich und außenpolitisch geht es bergab in der Türkei. Bevor das jemand merkt, will der Präsident schnell neu wählen lassen.

Recep Tayyip Erdoğan spricht in ein Mikrofon und zeigt mit der einen Hand zur Seite

„Schau mal da drüben“, sagt man gern und nutzt die Ablenkung dann um derweil unbemerkt die eigenen Interessen zu verfolgen Foto: dpa

Die Türkei wird am 24. Juni dieses Jahres vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchführen. Das kündigte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gestern offiziell an. Überraschend hatte der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahçeli, bereits am Dienstag im Parlament gefordert, die eigentlich für November 2019 vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf den August dieses Jahres vorzuziehen. Wie Erdoğan bei einer Pressekonferenz erläuterte, ist ihm selbst der August zu spät. Die unsichere außen- und innenpolitische Lage des Landes mache es unumgänglich, möglichst bald zu wählen, sagte er. Die Wahlen sollen deshalb bereits vor der diesjährigen Sommerpause stattfinden, also am 24. Juni.

In den türkischen Medien und einschlägigen politischen Kreisen war bereits seit Längerem über vorgezogene Wahlen diskutiert und spekuliert worden. Denn entgegen dem offiziell verbreiteten Optimismus über die wirtschaftliche Situation der Türkei geht es in Wahrheit stetig bergab. Die Anzahl der Arbeitslosen steigt und liegt jetzt bei offiziell 12 Prozent, die Inflation bei 13 Prozent und die türkische Lira verliert seit Monaten rapide an Wert. Im Vergleich zu 2013 muss man heute mehr als doppelt so viele Lira pro US-Dollar oder Euro zahlen.

Zu den wirtschaftlichen Problemen kommt die unsichere außenpolitische Situation. Die Türkei entfernt sich immer mehr von ihren westlichen Bündnispartnern, ohne eine befriedigende Alternative zu haben. Die EU hat Erdoğan erst am Dienstag noch einmal bestätigt, dass das Land sich aufgrund der Verletzung von Menschenrechten, Pressefreiheit und Gängelung der Justiz von der EU immer weiter entfernt. Mit den USA liegt Erdoğan wegen Syrien im Clinch. Das Verhältnis ist so schlecht wie nie.

In dieser Situation prescht Erdoğan nun nach vorne. Als „Sieger von Afrin“ schwimmt er noch auf einer nationalistischen Welle, von der er hofft, dass sie ihn auch wieder ins Präsidentenamt tragen wird. Mit staatlichen Finanzspritzen kann man vielleicht bis Juni noch die Kulisse einer prosperierenden Wirtschaft aufrechterhalten. Und nicht zuletzt: Die Opposition ist auf Neuwahlen nicht vorbereitet.

Die Oppositionsparteien geben sich zuversichtlich, dass sie die Wahlen gewinnen können. Je schneller wir Erdoğan abwählen, um so besser sagte der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu. Auch die kurdische HDP tut so, als könne sie Neuwahlen gar nicht abwarten.

Auf die Türkei, aber womöglich auch auf Deutschland kommen zwei heiße Monate zu. Die Allianz aus AKP und MHP wird nun ein nationalistisches Trommelfeuer auf die Türkei loslassen, das auch an Deutschland nicht spurlos vorbeigehen wird. Womöglich will Erdoğan oder einer seiner Minister erneut Wahlkampf auch in Deutschland machen und das Gezerre vom Frühjahr letzten Jahres wiederholt sich.

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