„Kämpferin – und Mutter“

Demnächst wird das moderne Israel 70 Jahre alt. Welche Frauenvorbilder seine Gründungsphase prägten, hat die Historikerin Julie Grimmeisen erforscht. Heute ist sie in Hamburg zu Gast

Foto: privat

Julie Grimm-eisen, 34, forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihr Buch „Pionierinnen und Schönheitsköniginnen Frauenvorbilder in Israel 1948–1967“ ist bei Wallstein erschienen (389 S., 39,90 Euro).

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Grimmeisen, war Israel, als es vor ziemlich genau 70 Jahren gegründet wurde, ein feministisches Projekt?

Julie Grimmeisen: Da gibt es sehr verschiedene Sichtweisen. David Ben-Gurion wie auch Theodor Herzl haben den Zionismus als Bewegung verstanden, die den Frauen gleiche Rechte bringen werde. Das steht auch so in der Erklärung, die Ben-Gurion am 14. Mai 1948 verlesen hat.

Das war damals aber nicht weit verbreitet, oder?

Im internationalen Vergleich war der Staat Israel, auch was die Gesetze betrifft, die in den ersten Jahren erlassen wurden, sehr fortschrittlich. Zum Beispiel, was den Mutterschutz während der Schwangerschaft betrifft oder auch die medizinische Versorgung danach. Das war revolutionär und wurde auch in anderen Staaten so gesehen: Israel als Vorreiter.

Wer oder was war die „neue hebräische Frau“ – und wie verhielt sie sich zur Idee vom „neuen Juden“, wie er dem Zionismus vorschwebte?

Die Mehrzahl der Zionisten, zumal am Anfang, waren Männer. Es ging um eine Revolution hin zu einem neuen Juden; einem neuen Mann, der die Diaspora verlässt, in sein Heimatland zurückkehrt und ein ganz anderer Mensch wird: vor allem ein freier Mensch, ein neuer Mann, der sein eigenes Land aufbaut.

Und die Frauen?

Es gibt dazu auch eine kleinere Frauenbewegung, schon Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich als sozialistisch-zionistisch versteht – und eine neue Jüdin begründen will. Es gibt zum neuen Juden sehr viel wissenschaftliche Literatur. Darin wird auch erwähnt, dass Frauen gleichberechtigt waren und dieses sozialistische, landwirtschaftliche Ideal auch für sie galt. Aber man geht nicht speziell auf die neue Jüdin ein. Mein Buch ist ein Beitrag dazu.

Stellte diese neue Jüdin nicht einen Bruch dar mit den alten Rollenvorstellungen?

Es war ein widersprüchliches Ideal, das die junge israelische Gesellschaft vom Zionismus übernahm: Einerseits sollte sich die neue Jüdin unterscheiden von der alten Jüdin, also der der Diaspora, der des Exils. Andererseits war es aber eine männlich geprägte Bewegung. Dazu hat man die „konträre Projektionsfläche“ des anderen Geschlechts gebraucht: Ein Mann, der sich zu verteidigen weiß, der braucht dann auch jemanden zum Verteidigen, und das ist dann halt die Frau und das Kind; auch die alte oder die Hausfrau. Durch die Aussage, dass man den Zionismus als gleichberechtigte Bewegung verstand, hat man beide Bilder integriert: die neue, kämpfende, gleichberechtigte Jüdin – und die traditionelle Mutter und Hausfrau.

Ihr Buch und Ihr Vortrag führen „Pionierinnen und Schönheitsköniginnen“ an, also Extreme eines Spektrums. Wie hat das Gros der israelischen Frauen gelebt?

Keine Frau in Israel entspricht vollkommen diesen Idealbildern. Aber diese gaben Antworten auf die Situation: Die Schönheitskönigin, die teure Kleider trägt, durch die Welt reist und Berühmtheiten kennenlernt, das war ja in den 1950er-Jahren total realitätsfern, zu Zeiten der Sparpolitik, der Masseneinwanderung; das ist letztendlich ein Wunschbild, etwas, das man sich vielleicht erhofft. Aber vielleicht ging es auch weniger darum, es tatsächlich umzusetzen, eher um eine Art Auszeit: Geschichten von Aschenputtel oder Cinderella, die Erleichterung verschaffen.

Sie haben sich auf den Zeitraum bis 1967 konzentriert.

Mir ging es vor allem um Israels Gründungsphase, die Zeit, in der sich die Zusammensetzung der Gesellschaft stark verändert hat; sich aber auch der zionistische Traum erfüllte, dass es den eigenen Staat wirklich gibt. Eine Zeit des Nation Building, in der auch sehr viel diskutiert wurde: Was macht einen Israeli aus, was die israelische Nation? 1967, mit dem Sechs-Tage-Krieg – andere sagen: 1956, mit dem militärischen Erfolg in der Suez-Krise – endet diese frühe Phase, in der man sich nicht sicher war, ob sich der Staat würde verteidigen können. 1967 endete die Angst, den arabischen Nachbarstaaten unterlegen zu sein.

Es heißt, der säkulare, der Gründungsidee besonders verbundene Anteil an der Bevölkerung schrumpfe beständig. Wie steht es da heute um Rollenangebote für Frauen?

Mit dem sozialistischen Zionismus geht es seit den 1970er-Jahren bergab. Was den Beitrag der Frauen zum Werden des Staates betrifft, ist das Bewusstsein da. Genauso gibt es seit den 1970ern aber auch eine feministische Bewegung. Zum Ideal gehört bis heute, dass man auch Mutter wird. Israelische Frauen sind sehr selbstbewusst, das spiegelt sich auch darin, dass Frauen in der Armee dienen. Andererseits hat die Kommerzialisierung der Geschlechterbilder stark zugenommen in dem Zeitraum, den ich untersucht habe; ich bin letztlich auf die Anfänge der Konsumkultur in Israel eingegangen. Die Heldinnen auch der israelischen Gesellschaft sind Schauspielerinnen, die in Hollywood erfolgreich sind.

Wonder Woman!

Genau, Gal Gadot, die beliebteste israelische Frau zurzeit. Da spielt auch mit rein, dass sie Soldatin war. In den sozialen Medien stellt sie sich andererseits auch als Mutter dar. Man ist also Soldat, man kann auch Wonder Woman sein – aber man bleibt in Israel bis heute auch Mutter. Sie macht das sehr geschickt. In der Realität ist so eine Doppelbelastung, wie wir alle wissen, nicht so leicht.

Vortrag „Pionierinnen und Schönheitsköniginnen“: heute, 18.30 Uhr, Hamburg, Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83