berliner szenen
: Vorfreude größer als Widerwillen

Mit Paketlieferdiensten ist es nicht so einfach. Wenn es morgens gegen 11 Uhr klingelt und ich die Tür öffne, bekomme ich gewöhnlich vier Pakete vom netten Paketzusteller in die Arme gedrückt. Wir kennen uns, er klingelt nur noch bei uns. Vermutlich weil es wahrscheinlicher ist, in einer Studenten-WG jemanden morgens um 11 anzutreffen, um die Pakete für das ganze Haus abzuladen. Wir verteilen sie dann routiniert an unsere Nachbarn weiter.

Angst habe ich allerdings vor Paketen mit der Aufschrift „Lehmann“, unser direkter Nachbar, mit dem wir seit Einzug auf Kriegsfuß stehen. Er mag uns nicht, wir mögen ihn nicht. Normalerweise vermeiden wir Blickkontakt, wenn man doch leichtsinnig die Wohnung verlässt, ohne vorher durch den Spion zu schauen, und ihm im Treppenhaus begegnet. Wenn der nette Paketzusteller mit einem an Lehmann adressierten Paket in der Tür steht, schicke ich ihn mit entschuldigendem Lächeln zum nächsten Nachbarn. Mittlerweile versucht er es nicht mehr.

Schwierig wurde es vor zwei Wochen, als ein von mir erwartetes Paket nicht kam. Stattdessen einer dieser fiesen, gelben Zettel im Briefkasten: „Ihr Paket erwartet Sie bei Ihrem Nachbarn Lehmann.“ Mir wird klar, dass eine direkte Konfrontation unausweichlich ist, hält er doch mein Paket als Geisel. Nach acht Tagen Wartezeit beschließe ich, dass meine Vorfreude auf die Schuhe größer ist als der Widerwillen, auf die Klingel über dem Namensschild Lehmann zu drücken.

„Ach, na so was, guten Abend.“ – „Guten Abend.“ – „Ich habe mich schon gefragt wie lange Sie es noch aushalten.“ – „Tja, ja, hm.“ – „Na ja, hier bitte. Aber tun Sie mir doch den Gefallen und nehmen meine Pakete wieder an, einverstanden?“ – „Einverstanden.“ Die Post bringt Nachbarn wohl doch näher zusammen. Marlene Militz