Kolumne Air de Paris: Viel dicker als der von Beyoncé

Ganz Frankreich wird durch den Eisenbahnstreik in Geiselhaft genommen. Aber viel interessanter ist die Diskussion um „les ­fesses“.

Ein überfüllter Bahnsteig

„Weil die Lokführer es total okay finden, ganze Tage lang kaum einen Zug fahren zu lassen“ Foto: dpa

In Paris wird zuletzt mal wieder viel gestritten. Der lauteste Streit geht um Emmanuel Macrons Reformen für die französische Bahngesellschaft SNCF und die Gewerkschaften, allen voran die CGT, denen die offenbar überhaupt nicht passen. Es gibt dafür sicher ein paar ganz gute Gründe, so im Gesamtraum der Dauerdemonstrationen für alles und nichts ist es allerdings doch langweilig, vor allem aber sehr anstrengend, weil gleich das ganze Land in Geiselhaft genommen werden muss.

Weil die Lokführer es total okay finden, von Ostern bis Juni ganze Tage lang kaum einen Zug, schon gar keinen der RER-Linien fahren zu lassen und dabei auch noch die Frechheit besitzen, zu behaupten, das sei doch im Sinne aller.

Warum genau das im Sinne der Allgemeinheit sein soll, dass man nun statt einer ganze drei Stunden vom Flughafen in die Stadt braucht, weil außer dem Auto eben einfach nichts fährt (Hidalgo würde sagen: Nimm halt ein Velib!), habe ich bisher nicht verstanden, nur ist das, wie gesagt, entgegen der hochtrabenden Ansage, das hier sei jetzt endlich die Feuerprobe für Macron, ein ödes Thema. Zumindest keines, über das man sich lange unterhalten will.

Viel interessanter ist ein anderer Streit. Er betrifft runde Pos. Ja, wirklich: Popos. Les ­fesses. Nackte Hintern. Und natürlich: Die der femmes. Am vergangenen Freitag zum Beispiel, es war auf einer Hochzeit, da fing eine Bekannte nach einem Glas zu viel damit an: „So ein Arsch!“, sagte sie ganz laut und breitete ihre Arme demonstrativ weit aus und malte zwei große Halbkreise in die Luft: „Gigantisch, wirklich! Beyoncé kann einpacken, so dick ist der. Man sieht nur ihn. Die ganze Zeit. Es geht einfach nur um diesen dicken Po.“

Die Ärsche in „Mektoub, My Love“

Ihr Mann war ganz anderer Meinung. Diese Ärsche, diese fesses, seien doch ein Symbol für das Leben und die Liebe und die Lust und den Sommer und die Jugend. Das sei total poetisch. Es ging, es geht in Paris gerade viel um den neuen Film von Abdellatif Kechiche. Die einen finden, so wie meine Bekannte, so wie die Zeitung Libération, so wie ein paar andere Medien, in dem Film „Mektoub, My Love“ gehe es wirklich nur um dicke Pos und das sei ja ganz nett, aber auch irgendwie nicht so ganz im Zeichen unserer Zeit.

Nach Weinstein und #MeToo gehöre es sich nicht, seine Kamera andauernd auf den Hintern einer 25-jährigen Schauspielerin zu richten, vor allem nicht in dieser Überlänge. Die anderen, so wie der Mann meiner Bekannten, so wie die Zeitschrift Les Inrocks, so wie Le Monde, sehen den ersten Teil eines Meisterwerks. Und das, obwohl man sich tatsächlich streckenweise wahnsinnig langweilt und fragt, ob der Film überhaupt irgendwann mal endet, einfach weil so gut wie gar nichts passiert und es deshalb so vom Erzählen her absolut keinen Grund gibt, ihn überhaupt jemals zu unterbrechen.

Es könnte ewig so weitergehen, nur ist ja gerade das, neben den wirklich sehr schönen Pos dieser sehr schönen jungen Frauen, an denen alles großzügig und fröhlich ist, so toll. Weil es, ähnlich wie „Call Me by Your Name“, nur natürlich vollkommen anders, das Gefühl des Sommers, dieses langsame Dahinplätschern, die Trägheit, die Wärme, aber auch den Hunger, die schüchterne Hysterie der jungen Körper so gut wiedergibt. Der Film erzählt den Sommer von Amin, der für die Ferien nach Hause nach Sète in Südfrankreich kommt, dort in den Strudel seines Freundeskreis eintaucht.

Kurze Shorts und knappe Bikinis

Der besteht aus Sex, Lachen, im Wasser spielen, Bier am Strand trinken, Spaghetti am Strand essen, knutschen, sich belügen, sich betrügen, tanzen, weinen, trinken, spielen, frei sein und viel nackter gebräunter Haut. Die ist nicht immer am richtigen Fleck, die quillt über, aus viel zu kurzen Shorts und knappen Bikinis, die ist an allen Ecke ein bisschen too much und führt deshalb zu Streitereien in Radios, in Zeitungen und auf Hochzeiten, weil sie ein bisschen überfordert.

Die ist aber auch sehr erfrischend. Weil sie kein Statement für oder gegen etwas ist, weil es nicht um „body positivism“ geht und auch nicht um Machtverhältnisse, sondern einfach nur um junge Erwachsene, die spielen. Das geht manchmal gut und manchmal eben nicht. Interessanter als nicht fahrende Züge ist das allemal.

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