Viel Lärm um nichts beim Netze-Rückkauf

Durchgestochenen Zahlen zufolge ist das Fernwärmenetz viel weniger wert als der vereinbarte Mindestpreis. Doch der Aufregung liegt ein Flüchtigkeitsfehler zu Grunde

Klimaschützers Alptraum: Fernwärme aus Moorburg Foto: Marcus Brandt/dpa

Von Gernot Knoedler

Viel Aufregung gab es am Wochenende um die Frage, wie viel das Fernwärmenetz eigentlich wert ist, das die Stadt von Vattenfall zurückkaufen möchte. Sollte es deutlich weniger wert sein als der vom Senat mit Vattenfall vereinbarte Mindestpreis von 950 Millionen Euro, stünde der Rückkauf zur Disposition und damit der Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze – ein Szenario, das der heutige Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) noch als Oppositionspolitiker an die Wand gemalt hatte.

Wie das Hamburger Abendblatt am Wochenende berichtete, kommt ein von Vattenfall und der Vermögensverwaltungsgesellschaft des Senats HGV in Auftrag gegebenes Schiedsgutachten zu einem Ertragswert von 550 bis 725 Millionen Euro. Der Finanz- und der Umweltbehörde liegt das Gutachten noch nicht vor. Das Abendblatt – und in dessen Gefolge andere Medien – setzten diese Summen ins Verhältnis zu dem genannten Mindestpreis von 950 Millionen.

Wäre das richtig, hätte der Senat tatsächlich ein Problem. Denn laut der Landeshaushaltsordnung ist er zu einem sparsamen Umgang mit Steuergeld verpflichtet. Er darf keine Mondpreise bezahlen – mit der Folge, dass der Rückkauf ausfallen und dem Volksentscheid zuwider gehandelt werden müsste.

Der damalige Oppositionspolitiker Kerstan hatte 2014 davor gewarnt, sich jetzt schon auf einen Preis für 2019 festzulegen: Die Gefahr bestehe, dass der Senat einen überhöhten Preis bezahlen müsse. „Es gibt hier nur zwei Möglichkeiten“, sagte er damals. „Entweder ist das ganz schlechtes Handwerk oder der Senat will den Volksentscheid mit voller Absicht ins Leere laufen lassen.“

In einem Volksentscheid 2013 über den Rückkauf der Netze für Strom, Gas und Fernwärme haben sich 50,9 Prozent der Hamburger für eine Rekommunalisierung ausgesprochen.

Deren Ziel ist „eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“.

Entsprechend alarmiert war nach der Berichterstattung vom Wochenende der Hamburger Energietisch, der sich für die Umsetzung des Volksentscheides einsetzt. Per Pressemitteilung stellte er vorsorglich klar, dass es nur die vom Senat geplante Ausgestaltung der Fernwärmeversorgung sei, die den Preis der Fernwärmegesellschaft drücke. Dabei gebe es Alternativen.

Die Sorge war müßig: Denn die angeblich von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO ermittelte Preisspanne von 550 bis 725 Millionen Euro bezieht sich nur auf 74,9 Prozent der Fernwärmegesellschaft. Die restlichen 25,1 Prozent hat der Senat bereits gekauft. Drei Viertel von 950 Millionen Euro sind aber 712 Millionen Euro, was innerhalb der von BDO ermittelten Spanne liegt. In der Bürgerschaftsdrucksache zur Umsetzung des Volksentscheids vom Januar 2014 ist sogar ein anders gerechneter und noch niedrigerer Betrag von 626 Millionen Euro genannt – ebenfalls innerhalb der Spanne.

Notwendig geworden war das Schiedsgutachten, weil Vattenfall den Wert des gesamten Fernwärmeunternehmens im Januar auf 1,3 Milliarden Euro taxierte hatte. Das war dem Senat zu viel. Das Gutachten soll nach Behördenangaben Mitte April vorliegen. Vattenfall und die HGV haben dann einen Monat lang Gelegenheit, das Gutachten zu prüfen. Einigen sie sich nicht auf einen Kaufpreis, wird ein Zweitgutachter eingeschaltet, der den endgültigen Preis feststellt. „Jetzt sollten wir erst einmal das finale Ergebnis der Bewertung abwarten“, kommentierte die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Monika Schaal.