Weltmeisterin über Frauenschach: „Wir spielen alles aus“

Elisabeth Pähtz gewann in drei Monaten fünf Medaillen. Sie spricht über Hürden für Frauen, Mangel an Sponsoren und die Blüte des deutschen Schachs.

Elisabeth Pähtz sitzt vor einem Schachbrett. Sie hat den Kopf in die Hände gestützt

Elisabeth Pähtz 2013 bei einem Schachturnier in Jakarta Foto: imago/Xinhua

taz am wochenende: Frau Pähtz, kehrt das deutsche Schach im 150. Geburtsjahr des letzten deutschen Weltmeisters, Emanuel Lasker, der 1921 den Titel verlor, zu neuer Blüte zurück? Sie wurden über Ostern Europameisterin im Schnellschach, und der 13-jährige Vincent Keymer gewann das größte Open Europas vor mehr als 50 Großmeistern.

Elisabeth Pähtz: Ich denke, dass das „Lasker-Jahr“ in der Tat bereits jetzt schon ein besonderes Jahr ist. Im März war Berlin Schauplatz des WM-Kandidatenturniers, das zu den prestigeträchtigsten Turnieren im Schach gehört. Vincent hat zudem einen revolutionären Turniersieg errungen, und ich meinen ersten Europameistertitel im Erwachsenenbereich. Und dieses Jahr hat noch knapp acht volle Monate vor sich.

Bei Ihnen läuft es jetzt mit 33 Jahren plötzlich wieder. Sie heimsten drei EM- und WM-Medaillen binnen drei Monaten ein. Woran liegt der Aufschwung nach jahrelanger Stagnation auf Plätzen um Rang 20 in der Weltrangliste? Waren Sie bisher zu sehr Partygirl und wurden nach Ihrer Heirat etwas ernsthafter?

Mein Vater hatte in den 30ern seine besten Zeiten. Ich nehme an: wie der Vater so die Tochter (lacht). Aber im Ernst, ich glaube, dass meine Stagnation in den letzten Jahren vor allem auf mein eher schwaches Nervenkostüm zurückzuführen ist. Schachlich gesehen war ich meines Erachtens nie wirklich schlechter als die meisten der Top-Ten-Frauen, nimmt man die Nummer eins aus, die Chinesin Hou Yifan. 2017 gelang mir beispielsweise ein deutlicher Sieg gegen die stärkste Russin und Top 5 der Frauen-Weltrangliste, Alexandra Kosteniuk. Vermutlich bin ich emotional stabiler geworden. Auch bin ich weder bei der WM in Riad noch jetzt bei der EM in Tiflis davon ausgegangen, eine Medaille zu erspielen. Vielleicht liegt das Geheimnis einfach darin, ohne jegliche Erwartung in das Turnier zu gehen.

Oder fußt der Leistungssprung auch ein wenig darauf, dass Sie daheim mit Ihrem Ehemann, dem Internationalen Meister Iart Luca Shytaj, ständig Blitzschach spielen?

Mit meinem Mann blitze ich nicht. Wir haben Wichtigeres zu tun.

ist eine deutsche Schachspielerin. 2018 wurde sie Europameisterin im Schnellschach und Vizeeuropameisterin im Blitzschach.

Ist Schnell- und Blitzschach mit kürzeren Bedenkzeiten mehr Ihre Domäne als das lange Turnierschach über fünf, sechs Stunden?

Ja, das ist so. Ich bin eine Spielerin mit einer sehr guten Intuition und einem guten Stellungsgefühl. Ich fühle mich selbst in fremden Strukturen wohl und bin nicht abhängig von tiefen Theorieanalysen. Im Schnellschach und im Blitzschach fällt die Vorbereitung wegen der kurzen Abstände zwischen den ­einzelnen Partien einfach weg, man ist auf sich allein gestellt. Viele Topspielerinnen leben von der Vorbereitung und ihren tiefen Eröffnungskenntnissen. Ich habe davon nie gelebt.

Ist Frauenschach anders als das der Männer? Die Weltranglistenerste Hou Yifan sieht keine Herausforderung mehr für sich bei den Damen. Die Chinesin wird aber gerade beim Topturnier in Baden-Baden von den Großmeistern um Magnus Carlsen eher als Opfer betrachtet.

Hou Yifan ist ein Sonderfall. Sie hebt sich deutlich vom restlichen Frauenfeld ab. Natürlich ist es bitter und inakzeptabel, ein anderes System als bei den Männern vorzufinden. Im Gegensatz zu Carlsen muss sie ihren WM-Titel in einem lotteriehaltigen K.-o.-System verteidigen. Das würde ich an ihrer Stelle auch nicht hinnehmen. Zur Frage, ob Frauenschach anders ist – nun ja, wir spielen alles aus, selbst die sogenannten großmeis­terlichen Remisstellungen. (lacht)

Manche Männer belächeln Frauenschach – und es taucht oft nur dann in den Schlagzeilen auf, wenn Spielerinnen Weltmeisterschaften im Iran oder in Saudi-Arabien boykottieren, weil sie gegen den Schleierzwang aufbegehren.

Manche Männer mögen uns zwar belächeln, aber wären wir nicht da, wäre ihr Abend langweilig und trist.

„Der Iran ist nicht der perfekte Austragungsort für eine WM. Das wissen wir alle – andererseits hat keine einzige Föderation bei der Vergabe etwas dazu gesagt“, meinten Sie und spielten dort. Darüber hinaus sagten Sie auch: „Ich finde es traurig, dass nur das Negative gesehen wird – und nicht, dass der Iran bereit ist, eine ganze Menge Geld auszugeben. Es ist schwer, für Frauenschach Sponsoren zu finden.“ Warum ist das so?

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Für Leute, die selbst nicht die Möglichkeit haben, an einer WM teilzunehmen, ist es natürlich leicht, zu sagen, man müsse die WM im Iran boykottieren, weil der Iran gegen die Rechte der Frauen verstößt. Allerdings bezweifle ich, dass sie genauso denken würden, wenn sie selbst davon betroffen wären. Sponsoren für das Frauenschach zu finden, ist nicht leicht. Frauenschach ist nicht so interessant. Man schätzt die positiven Aspekte einfach zu wenig. Wir spielen unsere Partien aus. Die Remisquote ist entsprechend deutlich geringer. Wir kleiden uns zumeist elegant und geben der allgemeinen Atmosphäre ein besonderes Flair. Das auch unter dem Aspekt, dass ein üblicher Sponsor aus der Wirtschaft oder irgendeinem Unternehmen den qualitativen Unterschied zwischen den Schachzügen von Magnus Carlsen und der Ukrainerin Anna Musy­tschuk wohl nicht differenzieren könnte.

Sehen Sie nach Ihren jüngsten Erfolgen und Keymers Triumph neue Vermarktungschancen für Schach im Fußballland Deutschland?

Ja. Aber dafür braucht man einen gewieften Marketingexperten.

Bisher fördert nur das Leasingunternehmen Grenke AG den Denksport und auch jetzt Keymer im großen Stil, weil das die Passion von Chef Wolfgang Grenke ist. Warum sollten das mehr Firmen tun?

Weil Schach nicht nur ein Spiel ist, sondern auch für Intelligenz und Kreativität steht. Schach ist relativ häufig im Rahmen von Werbekampagnen bei Banken oder anderen Institu­tionen vorzufinden. Man muss nicht fragen, warum.

Bei den Männern können die Top 20 sehr gut von ihrem Denksport leben. Trotzdem studieren viele deutsche Talente lieber. Ihr Mann wurde auch lieber Arzt. Vernünftig?

Männer unterliegen einem stärkeren Konkurrenzkampf im Schach. Es ist deutlich einfacher, bei den Frauen in die Top Ten zu kommen, als bei den Männern.

Raten Sie Vincent Keymer trotzdem zur Profikarriere?

Vincent ist erst 13 Jahre alt. Es ist einfach zu früh für einen Ratschlag.

Sie waren mit 14 auch schon berühmt und drehten mit Hape Kerkeling und nahmen an der berühmte Partie gegen „Garri Kasparow versus the World“ teil. Den Hype konnten Sie später nicht nutzen. Können Sie und Keymer das deutsche Schach wieder da hinbringen?

Vielleicht hat Vincent eine Chance so wie ich damals als 14-Jährige. Damals war ich die jüngste deutsche Frauenmeisterin aller Zeiten. Vincent hat die stärkste Perfomanceleistung aller Zeiten in seiner Altersklasse erreicht. Das ist etwas ganz Besonderes.

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