Zwischen Fischgang und Sorbet

Das große Welttheater: Die Salzburger Festspiele sind ein Kontakthof der Macht. Vielleicht ist beim Dinner nach der Premiere von „La Traviata“ die Idee entstanden, dass Heinrich von Pierer im Team von Angela Merkel mitmachen könnte

Hinterlassenschaftendes Gelds in Formvon Skulpturen und Installationen

VON MARLENE STREERUWITZ

Die Salzburger Festspiele wurden als das „große Welttheater“ konzipiert. Eine Welt sollte da in der Kulisse von Salzburg nachgestellt werden, in der alles seine Ordnung hat. Eine Welt, in der jeder wusste, wo er hingehörte. Gottgegeben war das. Der Herr gehörte hinauf. Der Knecht hinunter. Frauen mussten ein Dirndl anziehen und sich nach ihrem Mann richten. Heute. Die Elite der deutschen Wirtschaft. Angela Merkel. Österreichs Politiker. Promis. Groupies. Sie versammeln sich. In der Kulisse von Salzburg. Und lassen es sich vorspielen. Spielen mit. Werden zur Festspielgemeinde, wie das bei den Begrüßungen und Eröffnungen so schön heißt.

Die Festspiele sind ein Kontakthof der Macht. Waren das immer. Sollten das sein.Vielleicht ist beim Dinner nach der Traviata-Premiere die Idee entstanden. Zwischen Fischgang und Sorbet. Dass Heinrich von Pierer im Team von Angela Merkel mitmachen könnte. Und über die Wahlhilfe des österreichischen Bundeskanzlers für die CDU/CSU. Da kann dann genauer darüber geplaudert werden. Da kann man sich offener äußern. Da ist man weich und gerührt von der edlen Geschichte dieser Edelprostituierten. Da lässt man sich von einer schönen, skandalumwitterten Russin die Prostituierte auf der Bühne vorsingen. Draußen. In den Puffs von Salzburg und Umgebung. Da geht der Frauenhandel weiter. Um den Mythos von der edlen Prostituierten einmal mehr zu erschönern.

Schöne Menschen. Schöne Kleider. Schön traurige Geschichten. Und Musik. Sentimentale Entgrenzung. Da lässt sich rasch etwas vereinbaren. Im Festspielhaus. Drinnen. Da kann so ein Spitzenmanager schon empfänglicher sein. Für den Ruf des Vaterlands. Und Siemens. Das ist eine Firma. Die stellt nicht nur Landminen her. Nein. Die sponsert auch die Übertragung so einer Premiere auf den Residenzplatz. Riesenleinwand. Damit alle etwas haben. Brosamen von der Tafel. Das Echte. Das Erlebnis. Das Unmittelbare. Das bleibt der Gemeinschaft im Festspielhaus. Und danach in den „Goldenen Hirschen“. Gemeinsam.

Die Salzburger Festspiele haben und hatten immer die Absicht, eine Gemeinde zu bilden. Eine durch die Gefühle definierte Nation der Besonderen. Der Auserkorenen. Dabei haben Kleiderregeln zum Unterscheiden von den anderen immer eine große Rolle gespielt. Die Festspiele sind einer der Orte, an denen das große Abendkleid seine Berechtigung nie verloren hat. Und das Dirndl. Der Sekretär von Max Reinhardt führte, so wird berichtet, die Gäste vom Bahnhof direkt ins Trachtenmodenhaus Lanz. Dort wurde man oder frau mit alpenländischer Tracht ausgestattet und durfte damit auftreten. Die Festspielgäste waren salzburgerischer als die Salzburger oder Salzburgerinnen. Die konnten sich die teuren Modetrachten nicht leisten. Max Reinhardt inszenierte den „Faust“ im Dirndl. Paula Wessely faltete keusch die Hände vor dem Dirndlleibchen.

Und die Dirndln blieben. Mit dem Austrofaschismus waren sie Symbol der besonderen deutschen Sendung des ewigen Österreich. Die Salzburger Beamten bekamen 1936 einen neu erfundenen Trachtenanzug als Uniform verpasst. Für die Frauen musste man sich damals nichts denken. Das machte ihr Ehemann für sie.

In Salzburg schwelgte man in der Glorifizierung der überlegenen österreichischen Kultur. Mit Hilfe der jüdischen Künstler, die in Deutschland schon Auftrittsverbot hatten. Aber. Die Zweiklassenwelt der Dirndlverkleidung der Festspiele. Bei den arbeitslosen Salzburgern und Salzburgerinnen schürte das die Ressentiments gegen diese sommerliche Besatzung. Schürte den Antisemitismus. Förderte den Zustrom zu den illegalen Nationalsozialisten. Im Nationalsozialismus blieben die Dirndln gleich. Getragen wurden sie nun von denen, die sie sich bisher nicht leisten hatten können. Dazu wurden dieselben Opern aufgeführt. Die Musik rührte und machte diese weichen Herzen. So einer Opernaufführung. Der ist es ja vollkommen gleichgültig, wer da drinsitzt.

Heute. Die Elite der deutschen Wirtschaft. Angela Merkel. Die österreichischen Politiker und Politikerinnen. Der Arbeitgeberpräsident Hundt verlangt in Deutschland noch rasch, dass die Lehrlinge ihre Lehre selbst bezahlen. Dann fährt auch er zur Traviata und dann ins Salzkammergut und sponsert das Kaiserzelt in Altaussee. Dazu zieht er Lederhose und Joppe an. Und setzt das Ausseerhütl auf.

Die Absicht der Salzburger Festspiele war die Schaffung eines österreichischen Weimar. Der Austrofaschismus formulierte es dann deutlicher. Die Geschichte sollte um 200 Jahre zurückgedreht werden. Vor die Französische Revolution. Vor den „jüdisch-marxistischen Geist“ (Bundeskanzler Dollfuß, Aufbruch zum neuen Österreich. 1933), der das Individuum seither aus allen außer- und überpersönlichen Bindungen herausgerissen hatte. Das wird so nicht mehr gesagt. Das muss so nicht mehr gesagt werden. Diese Botschaft wird an die Kulisse des religiösen Barock und an die universalistische Sentimentalität der Musik delegiert. Für die Eliten der deutschen Wirtschaft. Für Angela Merkel. Für die österreichischen Politiker und Politikerinnen. In der Pause dann. Die Tränen der Rührung hängen noch in den Augenwinkeln. Da kann dann Frau Merkel sich beim österreichischen Kanzler Ratschläge holen. Wie man unter Ausweitung der legalen Möglichkeiten ohne das Parlament regiert. Wie man die Institutionen, die den Staat konstituieren. Wie man die in Agenturen verwandelt. Wie man die Kultur vernichtet und sich nur die Repräsentationskünste erhält. Wie man über neoliberale Rahmenbedingungen alle Lebensformen vernichtet, die sich aus dem 18. Jahrhundert herleiten. Kunst. Literatur. Musik. Freies Schaffen. Das wird in die Kammer der gewerblichen Wirtschaft gezwungen. Das wird zum Unternehmertum verwandelt. Zu Kleinunternehmertum. Frau Merkel kann da erfahren, wie man alle Bürgerinnen und Bürger zu Pensionsabhängigen erklärt und sie dann dem Darwinismus der Wirtschaft überlässt. Überhaupt. Man behandelt den Staat am besten, als wäre der die Salzburger Festspiele. Die Leitung mischt sich in alle künstlerischen Belange ein. Ekelt kritische Mitarbeiter hinaus. Entlässt so viele wie möglich.

Erinnern wir uns. Vor einem Jahr machte der Staatssekretär für Kultur doch den schönen Vorschlag, die zu entlassenden Mitarbeiter der Festspiele den Untersberg hinunterzustoßen. Und so zu entsorgen. Die Entlassungen sind mittlerweile über die Bühne.

Frau Merkel kann sich beraten lassen, wie man ein ganzes Volk in die Frühpension schickt. Wie man auf einen Schlag zum Beispiel 4.000 Mittelschullehrer loswird. Wie man die eigene Entgeschichtlichung betreibt. Damit das Zurückdrehen des Rads der Geschichte gar nicht mehr bemerkt werden kann. Sie kann lernen, dass der Staat als Agentur keine Notwendigkeit zur Kommunikation mehr sehen muss. Wie Demonstrationen sich nach Jahren dann doch verlaufen. Wie man sanft und ruhig vernichten kann. Dass Vernichtung kein lauter Prozess sein muss. Dass das so nebenbei laufen kann.

Wer brav ist. Wer sich neoliberal zurechtschustern lässt. Der darf dann aber auch zuschauen. Der darf sich die Billigversionen von Opernübertragungen anschauen. Von Siemens gefördert. Dem werden von der deutschen Salzburg Foundation mit Geld der Crédit Suisse altmodische klassische Moderne in die Straßen gestellt. Als Geschenk. Ein bisserl Kunst. Hinterlassenschaften des Gelds in Form von Skulpturen und Installationen. Damit es in Salzburg auch etwas Neueres gibt. Viktorianische Beglückungshaltungen der Kolonialmacht den Einheimischen gegenüber.

Oder. Der gemeine Pensionsabhängige geht in den „Jedermann“. Da sind die Karten nicht so teuer. Das ist für jedermann gedacht. Da tritt dann der liebe Gott gleich unverblümt als Faschist auf. Ein bisserl angrührt und selbstmitleidig beklagt Gott der Herr sich gleich am Anfang, dass es sich für ihn nicht ausgezahlt hat. Das Sterben am Kreuz. Niemand ist lieb zu ihm. Zahlt es ihm heim. Mit Unterwürfigkeit und Anbetung. Am Ende des Theaterstücks dann. Da wird Gott der Herr seine eigenen Gesetze gebeugt haben. Er wird die legalen Mittel ausgedehnt haben. Für den Kapitalisten Jedermann. Der wird im weißen Hemdchen wiederauferstehen. Und wie immer finden sich ein paar dumme Frauen, die in Ermangelung eines eigenen Wegs den von einem Mann mitlaufen.

Der Schuldner. Der arme Mann. Die Frau des Schuldners. Und ihre armen Kinder. Die werden im Schuldturm bleiben. Während der reiche Mann mit einem Satz der Reue und im weißen Sterbehemd sich das Himmelreich verdienen kann in der Zweiklassenreligion, wird der arme Mann einfach vergessen. Das ist schlechte Dramatik. Das ist aber dann für Salzburg ganz richtig. Da geht es um die oben. Die Elite der deutschen Wirtschaft. Angela Merkel. Die österreichischen Politiker und Politikerinnen. Die Societygroupies. Ehemalige Bestsellerautorinnen. Reitstallbesitzer. Bagatelleadel.

Oldtimerbesitzer. Schönheitsköniginnen. Schönheitschirurgen. Immer geht es um die oben. Und dann hat der Austrofaschismus heute seine beste Zeit. Jeder weiß, wer oben und wer unten ist. Fraglos wird diese Wissen akzeptiert. Ein ewiger Bauplan wird vermutet. Und die unten. Die Pensionsabhängigen. Die lernen ihre Rolle des Knechts am besten ganz schnell am Beispiel des Schuldknechts aus dem „Jedermann“. Gott der Herr hat eine ausgeglichene Bilanz. Der reiche Mann hat ihn angesülzt. Das Sterben am Kreuz hat ihm ein paar Sätze der Unterwerfung eingebracht. Der reiche Mann muss sich vor dem Sterben nicht fürchten. Zwei Frauen werden mit ihm ins Grab steigen. Übrigens. Der Tod wird heuer von einer Frau gespielt. Da kann das Skelett in Bodypainting auf den Körper aufgemalt werden. Und der Tod kann als Frau viel verführerischer auftreten. Und man weiß ja, dass alles Schlechte von den Frauen kommt. Jedenfalls im Plan dieser völkischen Zuordnungen.

Die Salzburger Festspiele sind der Konjunktur des Zeitgeists folgend wieder das geworden, was sie sein sollten. Eine Gemeinschaft der Gefühlsverschmolzenen in ihrem Privileg. In der schönen Kulisse der Gegenreformation. Und. In der Logik des Ungeschehen-machen-Wollens der Französischen Revolution ist dann der Teufel im „Jedermann“ die einzige moralische Instanz.

Teufel: „Und kommt in einem weißen Hemd, /Erzheuchlerisch und ganz verschämt. / Die Welt ist dumm, gemein und schlecht. / Und geht Gewalt allzeit vor Recht, / Ist einer redlich, treu und klug, / Ihn meistern Arglist und Betrug.“

Wie immer muss die Angelegenheit nur wörtlich genommen werden. Dann stellt sich die Wahrheit schnell heraus: Wenn das Geld endgültig bestimmt, dann ist die Moral beim Teufel. Hoffmannsthal hat das 1910 geschrieben. Eine fulminante Hundertjahrfeier kündigt sich da an. Auf Kosten der Pensionsabhängigen. Denn. Bezahlt wird das alles vom Steuergeld dieser Gruppe. Frau Merkel sei herzlich eingeladen. Aber der Export der mit dieser Einladung verbundenen propagandistischen Ermächtigungen. Da würde ich aus deutscher Sicht die Einfuhr verwehren.