Legendenkiller im Giftschrank

Auf seiner Visitenkarte stand schlicht „Journalist“. Dieser Beruf lag zuerst nicht auf seinem Weg. 18-Jährig war Bernd C. Hesslein begeistert in den Krieg gezogen, geprägt durch falsche Kriegsromantik, indifferent gegenüber der Nazi-Ideologie. Seine biografische wie politische Läuterung erfuhr er in britischer Gefangenschaft. Hesslein zählte zu den wenigen, die sich ihrer Landsknechtszeit später nicht rühmten, sondern schämten.

Kritische Selbstbefragung war von nun an sein Credo. Nicht zuletzt beim Norddeutschen Rundfunk, wo er ab 1963 arbeitete. Hesslein gehörte zur legendären „Panorama“-Redaktion um Peter Merseburger, wurde leitender Redakteur in der Hauptabteilung Zeitgeschehen. Fernsehzuschauern wird der Mann mit der Fliege vor allem als Moderator der Sendung „Vor 40 Jahren“ in Erinnerung bleiben.

In Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, der biografischen wie der seines Landes, schuf er akribisch recherchierte Dokumentationen. Die wohl pointierteste stellte 1994 seine fünfteilige Serie „Wiederbegegnung mit uns selbst“ dar. Dieser Filmessay beschäftigte sich in durchaus provozierender Weise mit der Geschichte beider deutschen Staaten und der keineswegs zwangsläufigen Wiedervereinigung. Die Zeit lobte den „Legendenkiller erster Güte“, doch der NDR knickte vor einsetzender Kritik ein – und sperrte das journalistische Glanzstück 1995 in den Giftschrank.

Öffentlich-rechtliche Speichelleckerei, Meinungsbrei oder larmoyante Empörung waren Hessleins Sache nicht. Nicht ohne Grund zählte er zu den Gründungsvätern der Hamburger Rundschau, als es darum ging, dem Springer-Konzern in Hamburg eine Alternative entgegenzusetzen. Hesslein beteiligte sich nicht nur an Diskussionen um Konzept und Inhalt; in Kolumnen focht er für Meinungsfreiheit und -vielfalt. Bis ins hohe Alter schrieb er für die Zeit oder die linke Zweiwochenschrift Ossietzky. Vor einer Woche ist Hesslein 90-jährig in München gestorben.  WILFRIED WEINKE