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: kostprobe / alles, was recht ist

Gerechtigkeit genießen

Den Wert des Luxusguts Schokolade schätzen kann nur, wer Ahnung vom Aufwand fürs Produkt hat: Die Oldenburger Liegeradgruppe erfährt ihn – auf ihrer Tour nach Amsterdam

„Wir steigern damit auch den Genuss“

Hanna Brunkhorst, Oldenburger Liegeradgruppe

Von Pia Siber

Mittwoch sind sie aufgebrochen. Am Dienstag, dem 3. April, kommen die Angehörigen der Oldenburger Liegeradgruppe zurück aus Amsterdam – mit 47 Kilo Schokolade im Gepäck. Ganz, oder doch wenigstens so gut wie emissionsfreie Schokolade. Für die radelt übers Osterwochenende eine Gruppe von 120 FahrradfreundInnen aus 33 deutschen Städten in die Niederlande, um dort ihre Charge abzuholen. Insgesamt werden sie knapp eine halbe Tonne heimbringen.

Die Idee der Schokofahrt entstand in Münster. Die freie Lastenradinitiative „Lasse – dein Lastenrad für Münster“ hatte im Frühjahr 2017 die erste organisiert: Per Rad wird dafür gesorgt, dass auch das letzte Stück des Schokoladentransports emissionsfrei bleibt. Normalerweise hat die wegen der langen Importwege eine schlechte CO2-Bilanz. Zudem führen viele Zwischenhändler und die niedrigen Preise für den Endverbraucher dazu, dass die Produktionsbedingungen oft schlecht sind. Die TeilnehmerInnen der Schokofahrt möchten zeigen, dass es auch anders geht.

Der Kakao für die Schokolade wird in der Dominikanischen Republik angebaut. Bereits beim Anbau achtet die Kooperative „Conacado“ auf biologische Richtlinien und faire Löhne. Über den Atlantik segeln die Bohnen emissionsfrei mit dem Frachter „Tres Hombres“ nach Amsterdam. Dort produziert die kleine Schokoladenmanufaktur „De Chocolatemakers“ aus den Kakaobohnen Bio-Schokolade. Es werden nur ausgewählte Rohstoffe verwendet und alles verpackungsarm hergestellt und möglichst emissionsarm. „Da liegt es ja nahe, die restlichen Kilometer zu uns auch noch emissionsfrei zu gestalten“, sagt Dieter Hannemann von der Oldenburger Liegeradgruppe. An die Stelle der Windkraft des Seglers tritt dafür die Muskelkraft der RadlerInnen.

Viel Arbeit, ein langer Weg und sehr viel Zeit stecken in den Tafeln: Acht Monate vergehen von der Fruchtreife der Kakaopflanzen bis zur Ernte, anschließend werden die Bohnen drei Monate auf der Plantage veredelt. Der Transport mit dem Frachtsegler dauert drei Monate. In der Manufaktur wird die flüssige Schokolade drei Tage lang conchiert und anschließend mit dem Rad nach Deutschland gebracht. Ein langer Weg bis zum Verkauf: „Meiner Meinung nach ist Schokolade ein Luxusgut und hat eine besondere Wertschätzung verdient“, sagt Hanna Brunkhorst von der Oldenburger Liegeradgruppe. „Der Herstellungs- und Transportaufwand ist groß. Wir machen ihn wieder erfahrbar und steigern damit auch den Genuss.“

Mehrstufige Staffeln versorgen auch die weiter entfernten Städte und Regionen mit den 90-Gramm-Tafeln. Dazu haben sich viele lokale Gruppen miteinander vernetzt und dezentral organisiert. So gelangt die Schokolade bis nach Braunschweig oder auch nach Hamburg. Dort landet sie allerdings als ziemlich exklusive Ware, zu bekommen nur in besonders engagierten Läden: In Braunschweig führt nur das Makery Café die Tafeln. Und in Hamburg ist sie nur bei Deichgrün in Wilhelmsburg zu bekommen und in Onkel Dieters Naturkostladen in Reinbek bei Hamburg.

Jeder und jede kann mitfahren bei einer Schokofahrt. Außer um den Transport der edlen Ware geht es dabei laut Hannemann auch um Gemeinschaft. Es wird zusammen gekocht, geradelt und geplaudert. Die sieben Oldenburger starten am 28. März und planen, täglich ungefähr 100 km zurückzulegen. Nach und nach treffen sie sich mit anderen Gruppen, um dann die letzten Kilometer nach Amsterdam gemeinsam zu fahren.

Es gehe dabei auch darum zu zeigen, was mit Fahrrädern alles möglich ist. „Für Strecken unter zehn Kilometern kann man das Auto vergessen“, sagt er. Er wünsche sich, dass mehr Leute das Radfahren in ihren Alltag einbeziehen: „Wir möchten mit der Aktion für eine nachhaltige und klimaschonende Mobilität werben.“ Und zeigen wie effektiv ein Rad sein kann, besonders wenn es ein Lastenrad ist.

Oft genug kann das Lastenrad das Auto als Transportmittel ersetzen – ohne Abgasprobleme zu verursachen. Allerdings ist es teuer, sperrig und man braucht es in der Regel nicht täglich. Daher bieten Initiativen wie Lasse in Münster mittlerweile in vielen Städten Lastenräder kostenlos zum Verleih an. Seit März gibt es in Bremen „Fietje“, schon länger kann man sich in Hannover „Hannah“ ausleihen, „Heinrich der Lastenlöwe“ hilft in Braunschweig und in Jever „Dein Deichrad“: Tatsächlich ist es auch dort gelungen, wieder eine Gruppe RadtransporterInnen auf den Weg nach Amsterdam zu bringen, gesponsert von örtlichen Reformhäusern, Bio- und Eine-Welt-Läden, Fahrradgeschäften und Cafés, die kurz nach Ostern die Schokolade zum Weiterverkauf in Empfang nehmen werden, genau wie in Oldenburg.

Wenn die Schokofahrt mit ihrer kostbaren Fracht dort wieder eintrifft, soll die Gruppe von anderen Fahrrad- und Schoko-freunden einige Kilometer vor Oldenburg abgeholt werden. In einer Art Triumphzug radeln alle dann zum Weltladen in der Innenstadt weiter. Und was dann kommt, ist für Hannemann, die in der emissionsfreien Schokolade ein Symbol für Gerechtigkeit sieht, klar: „Ich freue mich darauf, sie zu probieren.“