„Die Deiche müssen höher und breiter werden“

Der Wasserbauexperte Han Vrijling glaubt, dass New Orleans künftig sicher sein wird. Dazu müssten aber die Dämme komplett neu gebaut werden

taz: Herr Vrijling, New Orleans steht unter Wasser. Kann man so eine Katastrophe in Zukunft verhindern?

Han Vrijling: Ja, wenn die Dämme so ausgebaut werden, dass sie einen Orkan der Stufe fünf aushalten. Dieser Ausbau würde etwa 2,5 Milliarden US-Dollar kosten. Das war auch 2001 so geplant. Aber es wurde nicht gemacht, stattdessen wurden sogar Zuschüsse für die Army Corps Engineers (ACE) gekürzt, die für die Instandhaltung der Deiche zuständig sind.

In Holland gibt es selten Hurrikane, haben Sie trotzdem Ratschläge für die USA?

In New Orleans ist man von Fluten ausgegangen, die alle 30 Jahre vorkommen. Ob mit oder ohne Hurrikan: Dämme müssen so konstruiert sein, dass sie eine Katastrophe aushalten, die nur alle 10.000 Jahre vorkommt.

Wie müssen die Dämme aussehen, die solchen Wassermassen standhalten?

Die Deiche müssen höher und breiter werden. Wir in den Niederlanden haben eine andere Konstruktion: Ein Rumpf aus Erde, darüber eine Schicht Sand und Lehm, damit der Deich wasserdicht ist. In den USA gibt es auch einen Erdrumpf, aber darauf sind Mauern gebaut. Bei einer Flut ist ein solcher Deich stärker gefährdet.

Hat man in New Orleans zu nah am Wasser gebaut?

Nein, die Entfernung der Siedlungen zum Damm spielt keine Rolle. Um eine Stadt vor einer solchen Flutwelle zu schützen, müsste sie schon 100 Kilometer von der Küste weg sein.

Wie lange wird es dauern, das Wasser in New Orleans abzupumpen?

Etwa vier bis sechs Wochen, je nachdem, wie viele Pumpen man einsetzt. Erst müssen die Löcher im Deich repariert werden. Mehr Zeit wird man brauchen, um die feine Dreckschicht zu entfernen, die sich über alle Gebäude gelegt hat.

New Orleans liegt unterhalb des Meeresspiegels, sollte man die Stadt nicht aufgeben?

Nein, die Niederlande sind ein Beispiel dafür, dass man so leben kann. Wenn wir in der Lage sind, in einem Flugzeug in der Luft bei minus 50 Grad zu überleben, dann können wir auch in Städten unterhalb des Meeresspiegels wohnen. Die Vorstellung, eine Stadt oder ein ganzes Land umzusiedeln, ist ein romantischer Traum. Oder hätten Sie in Deutschland genügend Platz für alle Holländer?

Hat der Dammbruch in den Niederlanden Erinnerungen an die große Flutkatastrophe von 1953 geweckt?

Ja, es wird wieder über Hochwasserschutz diskutiert. Vorher haben viele gedacht: Das ist 50 Jahre her, was schert uns so ein bisschen Wasser in den Straßen. Jetzt ist das Thema wieder aktuell, die Ministerin beschäftigt sich plötzlich mit den Zuschüssen für Deiche. Wir sollten unsere Lehren ziehen. Viele haben die Gefahr verdrängt, wir dürfen uns nicht zu sicher fühlen.

INTERVIEW: RAFAEL BINKOWSKI