Claudius Prößer verfolgt den Bürgerzorn wegen gefällter Bäume im Tiergarten
: Volle Hütte, kein einziges Mikro

Gesetzt den Fall, man wolle BesucherInnen aus einem fernen Land mal zeigen, wie in Deutschland Demokratie und Zivilgesellschaft funktionieren. Und wie das Leben so spielt, landet man zusammen im Rathaus Tiergarten, wo (wie am Montagabend) eine Bürgerveranstaltung stattfindet, auf der es um die Gestaltung des Spreeufers geht. Und weiß dann geschlagene zwei Stunden lang nicht, ob man auf das, was da in Sachen Debattenkultur geboten wird, stolz sein soll – oder sich fremdschämen muss.

Dass die Diskussion über die Instandsetzung eines Rad- und Fußgängerwegs zwischen Wullenwebersteg und Schloss Bellevue überhaupt stattfindet, liegt an der Fällung von sechs großen und gesunden Weiden am Schleswiger Ufer Anfang Januar. Der überraschenden Fällung, sagen die entsetzten AnwohnerInnen. Der ordnungsgemäß angekündigten und leider unvermeidbaren Fällung, sagt der Bezirk.

Weichen mussten die Bäume, weil der Untergrund auf Kampfmittel aus dem letzten Krieg untersucht werden soll, damit die Bauarbeiten für den Radweg sicher ablaufen können. Ob das nötig war, ob noch mehr gerodet wird und wem ein breiterer Radweg nutzt, wollen die Leute nun wissen.

Schön und gut – aber warum geht es dabei so unprofessionell zu? Der alte BVV-Saal ist dem Andrang kaum gewachsen. Für 200 Menschen gibt es kein einziges Saalmikrofon; die Projektionen, mit denen das umstrittene Vorhaben erklärt werden soll, sind nur von den ersten Reihen aus erkennbar.

Höhnische Zwischenrufe

Immerhin: Außer der grünen Umweltstadträtin Sabine Weißler ist die gesamte zuständige PlanerInnenschaft erschienen, um den BürgerInnen Rede und Antwort zu stehen. Zum Teil sind die aber so aufgebracht, dass sie eine sinnvolle Debatte boykottieren – mit länglichen Meinungsbeiträgen, wo Fragen gestellt werden sollen, oder mit höhnischen Zwischenrufen.

Und doch: Auch chaotischer Druck ist letztlich Druck. Stadträtin Weißler beteuert nach gut zwei Stunden in dem stickigen und lauten Saal, dass sie eine neue Mitbestimmungsroutine im Bezirk etablieren will; dass Vorhaben wie dieses (für das die eigentliche Mitbestimmung vor Jahren sang- und klanglos verstrichen ist, noch bevor sie, Weißler, überhaupt ihr Amt angetreten hat) künftig viel klarer kommuniziert werden sollen, unter anderem mit einem besseren Webauftritt. Dass im Grünflächenamt eine Stelle ausgeschrieben ist, die sich nur um die Einbindung der BürgerInnen kümmern soll. Und dass es in den kommenden Wochen drei Bürgerversammlungen zu Straßenbaumaßnahmen geben soll.

Fragt sich nur, ob das Interesse auch dann so groß ist, wenn das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist beziehungsweise die Bäume noch nicht gefällt sind.