KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Mehr dabei als mittendrin

Ich hatte immer nur eine Handvoll Freund_innen. Es fehlte der Schlüssel zu meinem Inneren

Ohne meine Freund_innen wäre ich nicht, wo ich heute bin, wer ich heute bin, und mein Leben wäre um seine vielleicht schönsten Erlebnisse ärmer. Ich habe ihnen viel zu verdanken, aber diese Dankbarkeit, diese Wertschätzung für die Freundschaften, die ich bisher hatte und habe, sie kommt nicht aus dem Nirgendwo. Fast meine gesamte Schullaufbahn war ich ein_e Außenseiter_in. Ich hatte nie mehr als eine Handvoll Freund_innen. War mehr dabei als mittendrin.

Aber wie sagte mal ein Klassenlehrer über mich: Ich sei jemand, der gegen den Strom schwimmt. Das ist wahr, ich schwamm schon früh gegen die heteronormative, weiblichkeitsfeindliche Kackscheiße an! Wobei das heute toller klingt, als es damals war. Anders-Sein macht angreifbar. Aber wie dagegen wehren? Als ich einmal wegen eines Sprachkurses in England war, meinte eine Betreuerin zu mir: „Wenn sie dich wieder ärgern, dann musst du einfach mal zuschlagen.“ Und dann? Es ging mir doch nicht bloß um einen Platz weit oben in der Hackordnung, sondern um Respekt und Verständnis.

Eine Wende stellte mein Umzug nach Berlin und der Beginn meines Lebens als Frau dar. Dort traf ich nicht nur auf Menschen, denen es ähnlich ging, sondern es war auch eine Art Knoten geplatzt. Das tiefste und unheimlichste meiner Geheimnisse war keines mehr. Ich konnte offener auf Menschen zugehen. Und ich begann neue Freundschaften zu schließen. Freundschaften, die mich durch Krisen tragen, die Umzugskisten tragen, die mir Ratschläge geben, die mich kritisch hinterfragen, mich motivieren. Der eine weckte meine Freude an Klassik-Konzerten, die andere unterweist mich in der Benutzung einer Schlagbohrmaschine und überhaupt sind sie alle da, wenn ich mal wieder etwas mehr oder weniger Wichtiges zu berichten habe, am besten bei einem Stück Kuchen.

Letztens fragte mich meine Mutter, ob denn alle meiner Freund_innen trans*, schwul oder lesbisch seien. Ganz abwegig war ihr Frage nicht, die meisten meiner Freund_innen sind irgendwie „anders“ oder haben eine Geschichte, die sie abhebt, aber ich habe ihr eine Gegenfrage gestellt: Haben nicht auch andere Leute Freunde, die etwas miteinander gemein haben? Sei es, weil sie auf die gleiche Schule gegangen sind, ein Hobby teilen, aus dem gleichen Dorf kommen oder miteinander studiert haben?

Doch seit einiger Zeit schließen sich auch hier Kreise: Ich habe alte Klassenkamerad_innen und Freund_innen getroffen oder mit ihnen Kontakt aufgenommen, Facebook sei Dank. Menschen, die ich glaubte hinter mir gelassen zu haben. Menschen, die sich aber auch verändert haben, die mich nicht vergessen haben. Denen ich aus Scham und Angst die Tür zu meinem Inneren nicht geöffnet habe. Eine Tür, das muss ich zu meiner Entschuldigung sagen, zu der mir damals auch noch der Schlüssel fehlte. Aber zum Glück bemisst sich Freundschaft nicht nach irgendeiner Dauer oder Häufigkeit, sondern nach gegenseitiger Zuneigung.

■ Die Autorin studiert Geschichte in Berlin Foto: privat