Ahmet Şık gibt nach 434 Tagen Knast keine Ruhe

Der freigelassene Reporter der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ setzt Kritik an Erdoğan fort

Von Wolf Wittenfeld

Ahmet Şık, der berühmteste investigative Reporter der Türkei, ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Das hat sich auch nach der Entlassung aus einer 434 Tage andauernden Untersuchungshaft nicht geändert. Nachdem er Freitagnacht gemeinsam mit dem Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet aus dem für politische Gefangene gebauten Gefängnis in Silivri entlassen worden war, stellte Cumhuriyet am Samstag eine Videobotschaft von ihm ins Netz, in der er die Regierung scharf angreift.

„Ich garantiere euch, dass dieses Mafia-Sultanat in der Türkei bald enden wird“, sagte er und machte klar, dass die Haft ihn nicht dazu bringen konnte, sich zukünftig zurückzunehmen. „Die Wut auf das Regime“, sagte seine Frau Yonca am Wochenende, „ist es, was ihn antreibt und den Knast überleben lässt.“

Auch für die Freude seiner Freunde, die ihn und Murat Sabuncu Freitagnacht in Silivri in Empfang nahmen, hatte er wenig Verständnis. „Warum jubelt ihr“, sagte er, „es gibt keinen Grund zu feiern.“ Auch wenn er und Murat jetzt aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, habe sich die Türkei doch nicht verändert.

Nach der Freilassung von Şık und Sabuncu sitzt von den 18 Angeklagten im Prozess gegen die bekannteste Oppositionszeitung Cumhuriyet nur noch der Verleger Akin Atalay weiter in U-Haft. Gegen alle Angeklagten geht der Prozess aber weiter. Niemand der Angeklagten darf das Land verlassen, Şık und Sabuncu müssen sich darüber hinaus jeden Sonntag bei der Polizei melden. Den angeklagten Cumhuriyet-Mitarbeitern wird vorgeworfen, wahlweise eine von drei „Terrorgruppen“ unterstützt zu haben: die Gülen-Sekte, die die Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht, die kurdische PKK-Guerilla oder die linksextremistische DHKPC, die immer mal wieder bewaffnete Anschläge verübt.

Zu keinem der Anklagepunkt gibt es konkrete Beweise, teilweise sind die Anschuldigungen geradezu absurd. So soll Ahmet Şık jetzt die Gülen-Sekte unterstützen, obwohl er einer der bekanntesten Kritiker dieser islamischen Bewegung ist. Noch 2011 war er für ein Jahr eingesperrt worden, weil er ein Buch über die Machtergreifung der Gülen-Sekte im Staatsapparat geschrieben hatte, das sofort verboten wurde.

Damals waren der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und die Sekte noch enge Verbündete, heute wirft Erdoğan der Gülen-Sekte genau das vor, was Şık 2011 beschrieben hatte. Doch während Erdogan sich darauf rausredet, er sei von der Gülen-Sekte getäuscht worden, fordertŞık, der Präsident müsse gemeinsam mit den Gülen-Leuten vor Gericht gestellt werden.