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: Gerechtigkeit statt großes Gebrüll

Endlich wird der Videobeweis international anerkannt. Der Spieltag zeigt, wie wichtig die Entscheidung ist

Als „historischen Schritt für mehr Fairness im Fußball“ feiert das International Football Association Board (IFAB) seine Entscheidung vom Samstag, den Videobeweis nach diversen Testphasen offiziell in die Fußballregeln aufzunehmen. Fortan darf jeder Verband das System in seinen Wettbewerben anwenden oder eben auch nicht. Die Bundesliga hat bereits angedeutet, dass die Technik im Falle einer solchen Entscheidung auch im kommenden Jahr genutzt wird, zudem gilt als sicher, dass bei der WM im Russland Videoassistenten zum Einsatz kommen werden. Und wer den zurückliegenden Bundesligaspieltag betrachtet, kann nur zu einer Erkenntnis kommen: Das ist auch gut so.

Man mag sich gar nicht ausmalen, was los gewesen wäre, wenn der Hamburger SV durch Filip Kostic’Abseitstor, das im Kölner Keller als irregulär entlarvt wurde, gegen Mainz gewonnen hätte. Ohne Videoschiedsrichter würde die ganze Liga nach diesem Wochenende brüllen: Wir brauchen technische Hilfen für Schiedsrichter! Zumal es ja auch noch die unverschämte Schwalbe von Miiko Albonorz in Frankfurt gab, nach der zunächst ein Elfmeter verhängt worden war, der nach Ansicht der TV-Bilder aber zurückgenommen wurde. Sowohl im Abstiegskampf als auch im Rennen um die Champions-League-Teilnahme wurde für Gerechtigkeit gesorgt.

In den Fankurven und an den Stammtischen hat die Technik trotzdem keinen guten Ruf, und das liegt vor allem daran, dass die Schiedsrichter in der Hinrunde zu viele Fehler machten. Zum einen urteilten sie viel zu oft falsch, obwohl sie die TV-Bilder gesehen hatten, zum anderen griffen sie nicht nur korrigierend ein, sondern sie verbesserten Grauzonenentscheidungen von nicht optimalen, aber durchaus vertretbaren Pfiffen in die vermeintlich bessere Interpretation. Es fehlte die Transparenz und Einheitlichkeit, es entstand der Eindruck der totalen Willkür.

In der Rückrunde funktioniert das System aber sehr gut. Die Videoassistenten greifen seltener ein, der Vorsatz nur noch bei klaren Fehlern zu korrigieren wird gut umgesetzt. Und der Ärger, den es trotzdem oft gibt, hat viel mit Unwissenheit zu tun. Wenn Reporter wie beim 1:1 von Marco Reus in Leipzig eine Abseitsstellung gesehen haben wollen, dann liegen sie falsch. Die Kameraperspektive war ungünstig, verzerrte das Bild, und die Abseitslinie ist nur ein sehr provisorisches Hilfsmittel. Weil auch Rumpf, Oberkörper und Kopf relevant sind, bräuchte man eine Abseitswand, um wirklich genau zu sein. Und der vermeintliche Moment der Ballabgabe, in der das Bild angehalten wird, lässt sich technisch kaum genau ermitteln. Dasselbe gilt übrigens für das viel diskutierte Ausgleichstor des Hamburger SV in Leipzig vor fünf Wochen.

Und beim Handspiel Maximilian Eggesteins hätte der Schiedsrichter zweifellos einen Hand­elfmeter für Gladbach verhängen können, der Bremer vergrößerte seine Körperfläche und verschaffte sich einen Vorteil, aber Absicht lag eher nicht vor. Es handelt sich um eine Grauzonenentscheidung, keinen klaren Fehler. In solchen Fällen, die es schon immer gab, bleibt die Tatsachenentscheidung bestehen. Die seit vielen Jahren diskutierte Frage, was nun Hand ist und was nicht, gehört ebenso wenig in den Verantwortungsbereich der Videoschiedsrichter wie die Korrektur falscher Freistoß- und Eckenentscheidungen. Eine solche führte ja zum Frankfurter Siegtreffer gegen Hannover.

Es war also (bis zu den Sonntagsspielen) ein rundum gutes Wochenende für die Videoassistenten, die Aussicht, dass das System auch bei der WM zum Einsatz kommt, lässt sich allerdings kontrovers diskutieren. Denn die deutschen Schiedsrichter haben ein halbes Jahr gebraucht, um einen halbwegs ordentlichen Umgang mit den Bildern zu lernen, die meisten Unparteiischen in Russland werden praktisch ohne Erfahrung auf diesem Gebiet klarkommen müssen. Daniel Theweleit