Jede Menge Spaß

Er folgte dem Prinzip der Collage und machte auch aus Groschenromanen Pop: Eduardo Paolozzi mit „Lots of Pictures – Lots of Fun“ in der Berlinischen Galerie

Sprung zur Pop-Art: „Take Off“ aus Eduardo Paolozzis Bunk-Serie, 1950−1972 Foto: Trustees of the Paolozzi Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Von Tilman Baumgärtel

Im Jahr 1947 zog der britische Künstler Eduardo Paolozzi im Alter von 22 Jahren auf der Flucht vor dem „grauen Leben in London“ nach Paris. Dort entdeckte der Sohn italienischer Eltern nicht nur die künstlerische Avantgarde der Vorkriegszeit wie Picasso, Giacometti oder Tristan Tzara, sondern auch die Bouquinisten, die an den Uferstraßen der Seine antiquarische Bücher verkaufen. Paolozzi trug eine Sammlung von amerikanischen Comics, Magazinen und Groschenromanen zusammen, die eine wichtige Quelle für seine Bildsprache werden sollten.

Denn wie der junge Künstler feststellte, hatte die Konsumgesellschaft ihre eigene Spielart des Surrealismus entwickelt. In den Heftchen, die er an den Ufern der Seine aufkaufte, fand er jede Menge bizarrer Bilder: Muskelmänner in getigerter Badehose und eine blonde Frau in den Klauen eines Gorillas, eine Roboterinvasion auf dem Cover des Science-Fiction-Magazins Amazing Stories und eine Erdnuss mit Spazierstock, Monokel und Zylinder.

In einigen Fällen ließ er seine Funde, wie sie waren, in anderen verstärkte er den grotesken Eindruck noch, indem er verschiedene Bilder zu absurden Collagen zusammenklebte. Das ganze Konvolut nannte er „Bunk!“ – Quatsch, Nonsens.

Bei einem Vortrag, der Geschichte machen sollte, präsentierte Paolozzi seine Pariser Funde 1952 – untermalt von Grunzen und Stöhnen – mit einem Epidiaskop in London und legte damit die ästhetische Grundlage für eine Künstlergruppe, die in den folgenden Jahren unter dem Namen Independent Group eine angelsächsische Form der Pop-Art etablierte. Ein Jahrzehnt, bevor Andy Warhol oder Roy Lichtenstein in den USA die Arbeit an Ikonen des Kapitalismus zur hohen Kunst machten, entdeckten Künstler wie Paolozzi, Richard Hamilton oder Nigel Henderson die Populärkultur als Fundgrube für Motive. Paolozzis Bild von einer Hausfrau in einem von Konsumartikeln überquellenden Raum aus der Bunk!-Serie erinnert dabei bereits an die Collage „Just what is it that ­makes today’s homes so different, so appealing?“ von Richard Hamilton, der Ikone der britischen Pop-Art.

Die amerikanischen Pop-Künstler hatten von der Werbung, die sie kopierten, auch die Kunst der Markenbildung gelernt: Warhol oder Lichtenstein entwickelten früh einen Malstil, der jedes Bild sofort als ihr Werk erkennbar machte, und blieben diesem mit geringen Variationen zeit ihres Lebens treu. Paolozzi war viel sprunghafter, experimentierfreudiger und wagemutiger, wie jetzt eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie zeigt, die von der Whitechapel Gallery in London übernommen wurde. „Lots of Pictures – Lots of Fun“ verfolgt, wie sich der Künstler in Skulpturen und Grafiken immer wieder neue Materialien und Techniken zu eigen machte.

Der 2005 verstorbene Paolozzi machte Abgüsse von Schrott, Klaviertasten oder Kinderspielzeug, aus denen er in den 50er Jahren Metallskulpturen zusammenfügte, und übertrug so das Prinzip der Collage in die Bildhauerei – was hätte der Mann wohl mit einem 3-D-Drucker alles angestellt?

In den 60er Jahren, als sein Stil sich immer stärker von figürlichen Vorbildern löste und zunehmend abstrakt wurde, entstanden minimalistische Stücke, die er mit Nickel überzog und so jeden Anschein von handwerklicher Gemachtheit eliminierte. Ein silbern schimmernder „Friendly Dog“ von 1971 scheint schon den glänzenden Kitsch eines Jeff Koons vorwegzunehmen. In der Ausstellung sind auch zwei verblüffende Filme zu sehen, die an die Werke des amerikanischen Geistesverwandten Bruce Conner erinnern.

1974/75 war Paolozzi, der in den 70er Jahren an der Fachhochschule Bonn, in den 80er Jahren an der Kunstakademie in München unterrichte, als DAAD-Stipendiat in Westberlin und arbeitete in einem Atelier am Kottbusser Damm. Diese Phase beschrieb er später als „das fruchtbarste Jahr meines Lebens“, in ihr entstand unter anderem ein – heute verschwundenes – abstraktes Wandbild für eine Brandmauer an der Kurfürstenstraße.

Apropos Genius Loci: Auch wenn die Collage nicht unbedingt in Berlin erfunden wurde, haben die deutschen Dadaisten die Ausdrucksmöglichkeiten dieser künstlerischen Methode, die für Paolozzi so zentral war („modern experience is one big collage“ wird er zitiert), beträchtlich erweitert. In der Sammlung der Berlinischen Galerie befinden sich jede Menge Arbeiten von Künstlern wie John Heartfield oder Hannah Höch, die zum Teil verblüffende formale Ähnlichkeiten zum Werk Paolozzis aufweisen. Den naheliegenden Bezug aber stellt die Ausstellung nicht her.

Eine weitere Merkwürdigkeit der Präsentation besteht darin, dass sie in die Seitenräume des Ausstellungsgebäudes verbannt wurde. Zwar gibt es da auch noch diese riesige Haupthalle. Doch hier leistet man sich den Luxus, schätzungsweise 1.000 Quadratmeter mit einer Skulptur und sonst nur dem Geräusch der Schritte von passierenden Kunstfreunden zu füllen.

Eduardo Paolozzi: „Lots of Pictures – Lots of Fun“ in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, bis 28. Mai