Historikerin über die Firma Pelikan im NS: „Hakenkreuze retuschiert“

Die Historikerin Annemone Christians soll die Firmengeschichte des hannoverschen Schreibwaren-Herstellers Pelikan aufarbeiten.

Weiß gekleidete Frauen stehen unter Hakenkreuz-Fahnen am Straßenrand. Auf der Straße marschieren dunkel gekleidete Männer.

Aufmarsch von Pelikan-Mitarbeiter*innen im Jahr 1938 Foto: Pelikan-Archiv

taz: Frau Christians, an was denken Sie, wenn Sie heute einen Pelikan-Füller zur Hand nehmen?

Annemone Christians: Das löst in mir eine positive Erinnerung aus, weil ich damit Schreiben gelernt habe.

Wer Dr. Oetker-Produkte anrührt oder sich ein Hugo Boss-Hemd kauft, hat es ebenfalls mit Produkten von Unternehmen zu tun, die sich lange sehr schwer mit der Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit taten. Pelikan ist allerdings noch später dran. Woran liegt das?

Ein Grund ist, dass der Bereich der Zwangsarbeit bei Pelikan in Teilen schon erforscht worden war. Damit war wohl aus Unternehmenssicht eines der heißesten Eisen bereits angefasst.

Annemone Christians, 36, war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte München (IfZ), wo sie im Projekt „Das Private im Nationalsozialismus“ arbeitete. Seit 2017 ist sie am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig, an dem sie auch promoviert wurde.

Haben Sie bei Ihren historischen Forschungen, mit denen Sie das Unternehmen nun beauftragt hat, weitere gefunden?

Überraschend war für mich das große Ausmaß, in dem Pelikan in die Kriegswirtschaft eingebunden war. Pelikan produzierte unter anderem Patronen- und Granathülsen, deswegen ist meine Studie unter dem Titel „Tinte und Blech“ erschienen.

Musste, damit das passiert, mit Claudio Esteban Seleguan erst jemand den Vorstandsvorsitz der Pelikan AG übernehmen, der selbst aus einer Verfolgten-Familie stammt?

Herr Seleguan, ein Urenkel des jüdischen Conti-Chefs Siegmund Seligmann, hat die Aufarbeitung natürlich gefördert. Ausschlaggebend war jedoch, denke ich, ein Anstoß von Außen: die sehr engagiert geführte Diskussion um eine Umbenennung der Fritz-Beindorff-Allee. Da musste und wollte das Unternehmen aktiv werden und hat das Institut für Zeitgeschichte mit der Studie beauftragt.

Die 1832 gegründete Tinten- und Farbenfirma vergrößerte ihre Belegschaft zwischen 1933 und 1938 von 2.410 auf 3.701 Mitarbeiter*innen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden sie zu großen Teilen durch Zwangsarbeiter*innen ersetzt.

Nicht nur in Hannover produzierte Pelikan, sondern auch in besetzten Ländern wie den Niederlanden und Polen. Dort übernahm Pelikan zwei „arisierte“ Betriebe. Bereits 1937 hatte die Firma auch von „Arisierungen“ in Hannover profitiert.

Fritz Beindorff kam 1881 als Handelsvertreter zur Firma, heiratete die Tochter des Chefs und war ab 1895 Alleininhaber. 1916 war er Mitbegründer der Kestner-Gesellschaft, 1931 wurde die Fritz-Beindorff-Allee nach ihm benannt.

Im November 1932 unterzeichnete Beindorff eine Eingabe von Industriellen und Bankiers an den Reichspräsidenten, die die Ernennung Hitlers zum Kanzler forderte. In Gegensatz zu seinen Söhnen wurde er dennoch – soweit bekannt – nicht Parteimitglied. Seit 1940 ist er Ehrenbürger von Hannover.

Die Umbenennung der Beindorff-Allee empfahl 2015 ein vom hannoverschen Stadt­rat eingesetzter Beirat – als eine von zehn unter 497 untersuchten Namensgebungen.

Mit einer Unternehmensstudie beauftragte Pelikan daraufhin die Münchener Historikerin Annemone Christians vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) , die nun unter dem Titel „Tinte und Blech“ veröffentlicht wurde.

Und was haben Sie zu Beindorff, dem damaligen Pelikan-Chef, herausgefunden?

Beindorff war ein überzeugter Bewunderer von Adolf Hitler, vor allem von dessen Wirtschaftspolitik, zugleich ein sozial und kulturell sehr engagierter Unternehmer, der explizit avantgardistische Künstler unterstützte. Kurt Schwitters zum Beispiel beauftragte er mit der Gestaltung von Werbeplakaten, auch El Lissitzky. Dokumentiert ist zudem, dass Beindorff Klaus Seligmann half, als jüdischer Flüchtling in Bue­nos Aires Fuß zu fassen.

Das ist für die Firmenüberlieferung auch deswegen relevant, weil dessen Sohn der schon erwähnte heutige Vorstandsvorsitzende von Pelikan ist. Aber wie ging die Firma damals mit ihren jüdischen Mitarbeitern um?

Das hat mich auch sehr interessiert, weil es ja durchaus Unterschiede dabei gab, wie schnell Firmen ihre jüdischen Mitarbeiter entlassen haben. Aber leider konnte ich dazu in den noch vorhandenen Firmenakten überhaupt nichts finden. Solche Lücken gehören zu den frustrierenden Erfahrungen bei der Pelikan-Studie.

Haben Sie den Eindruck, dass Akten absichtlich vernichtet worden sind?

Das kann ich nicht definitiv sagen, es gibt ja auch Verluste bei Umzügen und anderen Gelegenheiten. Aber der Umstand, dass die Lücken insbesondere in den 1930er- und 1940er-Jahren liegen, ist nicht zu übersehen. Interessant war der Fund des Bildes von einer großen Firmenfeier, das in zweifacher Ausfertigung existiert. Einmal mit opulentem Hakenkreuz-Schmuck und dann in einer Unternehmenschronik aus der Nachkriegszeit, aus der die Hakenkreuze akribisch heraus retuschiert worden sind.

Angesichts der Lücken in den Quellen ist es nach Ansicht von Fritz Beindorff junior, dem Urenkel des Patriarchen, nicht möglich, zu einer „Verurteilung“ Beindorffs wegen dessen Rolle in der NS-Zeit zu kommen. Deswegen sei es auch „völlig unangemessen“, die Beindorff-Allee umzubenennen. Können Sie diese Schlussfolgerung nachvollziehen?

Den Wunsch eines Nachkommens, das familiäre Erbe nicht beschädigt zu sehen, kann ich durchaus nachvollziehen. Allerdings sind die Lücken in der Überlieferung durchaus nicht so groß, dass man nichts Belastendes über Beindorffs Rolle sagen könnte. Man muss davon ausgehen, dass er über die zum Teil schlimmen Umstände Bescheid wusste, unter denen die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen – in ihrer Mehrheit polnische und ukrainische Frauen – in seinen Werken arbeiten mussten.

Beindorff junior vertritt öffentlich die Ansicht, dass „die meisten Firmen“ Zwangsarbeiter hatten und sogenannte Arbeitserziehungslager (AEL) betrieben.

Für Hannover sind nur zwei dieser besonders harten Lagerarten, die AEL, nachgewiesen – beide lagen auf einem Gelände der Pelikanwerke. Über die Zustände dort gibt es drastische Zeitzeugenberichte. Nach dem Krieg betonte das Unternehmen jedoch, dass seine AEL nicht, wie es sonst überwiegend der Fall war, unter Gestapo-Aufsicht standen, sondern von eigenen Leuten bewacht wurden.

Stimmt das?

Es lässt sich nachweisen, dass einer der Lagerführer ein Firmenmitarbeiter war. Und es sind Stellenanzeigen belegt, mit denen Pelikan nach Wachpersonal suchte.

Hat Beindorff ein ehrendes Gedenken verdient?

Das ist eine Entscheidung, die in der Konkretion der Straßenbenennung politisch getroffen werden muss – und auf die ich selbst sehr gespannt bin.

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