Fortschritt zwischen Vergnügen und Verrat

Pinku Eigas, künstlerisch aufwendige japanische Softsexfilme, laufen im Forum

Szene aus „Gushing Prayer“ von Masao Adachi Foto: Kokuei/Rapid Eye Movies

Von Detlef Kuhlbrodt

Die Nachrichten über das japanische Liebesleben sind widersprüchlich. Medien vermelden, dass viele Menschen in Japan allein leben und immer weniger Interesse an Sex haben. Andererseits ist Pornografie in Fernost sehr beliebt, die Verdammung des sündigen Fleisches hat in Japan keine große Tradition. Wegen zu großem Publikumsandrang musste vor zwei Jahren sogar ein Virtual-Reality-Porno-Festival in Tokio abgebrochen werden. 20.000 Pornofilme werden alljährlich in Japan produziert, die Branche setze jährlich etwa 3,7 Milliarden Euro um, wie der britische Guardian herausgefunden hat. Allein ein Fünftel des Umsatzes werden jedes Jahr mit 3.000 Silver-Pornos, also Pornofilmen, in denen ältere Darsteller mitwirken, erzielt. Viele junge Frauen werden mit falsche Versprechungen in das Pornogeschäft gelockt, wofür sich Vertreter der Branche öffentlich entschuldigten und Besserung gelobten.

Pinku Eiga ist ein japanisches Filmgenre zwischen Erotik- und Kunstfilm, das seit den sechziger Jahren mehr als 5.000 Werke hervorgebracht hat, die von Weitem an westliche Softsexfilme erinnern, allerdings als künstlerisch wertvoller gelten. Während die Qualität vieler der gut einstündigen und innerhalb einer Woche im Format 35 mm abzudrehenden Filme nur mäßiges Niveau erreicht, zeichnen sich andererseits viele Werke durch eine im westlichen Kino seltene Mischung von Sex und künstlerischem Anspruch beziehungsweise avantgardistischer Umsetzung aus.

Prestige im Westen

In den siebziger Jahren machten Pinku Eigas etwa die Hälfte der japanischen Kinofilmproduktion aus, heißt es bei Wikipedia. Mittlerweile wird es anders sein. Dass Regisseure wie Wakamatsu und auch Sion Sono einmal Pinku-Eiga-Filme realisierten, hatte Prestige, zumindest bei westlichen Filmfreunden wie mir. Kunst hat ja oft so etwas Abschreckendes, wobei die künstlerisch wertvollen unter den Pinku-Eiga-Filmen sicher in der Minderheit sind und die Ansichten einander widersprechen. Der Romantic Porno – ein dem Pinku Eiga verwandtes Genre – „Aroused by Gymnopedies“ (Regie: Isao Yukisada, 2016), der im letzten Jahr bei der „Woche der Kritik“ gezeigt wurde, war höchst umstritten. Der kanadische Popstar Peaches, als Stargast bei der Vorführung, fand den Film etwa sexistisch. Pinku Eigas sind zwar für Männer konzipiert, eine der treibenden Kräfte des Genres war jedoch eine Frau, Keiko Sato, die unter dem männlichen Pseudonym Daisuke Asakura zahlreiche Pinku Eigas produzierte.

Drei der von ihr produzierten Filme werden nun im Forum gezeigt. Atsushi Yamatoyas „Inflatable Sex Doll of the Wasteland“ (1967) erzählt im Breitbandformat und in Schwarz-Weiß von dem Profikiller Sho, der von dem Immobilienmakler Naka beauftragt wird, seine entführte Frau zu finden. Die Gangster drehen Pornos mit der entführten Frau. Auf seiner Suche in der Unterwelt Tokios trifft Sho auf den Gangsterchef Ko, der fünf Jahre zuvor Shos Freundin ermordet hat. Sexpuppen spielen auch eine Rolle. Dazu gibt es John-Coltrane-mäßige Jazzmusik.

Seltsam surreal

„Inflatable Sex Doll of the Wasteland“ wirkt seltsam surreal und erinnert an die frühen Filme von Sabu. Atsushi Yamatoya hatte auch das Drehbuch zu Seijun Suzukis Klassiker „Branded to Kill“ geschrieben. „Abnormal family“ (1984) ist der Debütfilm von Masayuki Suo, dessen schöne Komödie „Shall we dance“ (1996) auch international erfolgreich war. Es geht um die Eskapaden einer gutbürgerlichen Familie, die durch die neue Frau des triebgesteuerten ältesten Bruders durcheinandergerät, die als Prostituierte arbeitet. Formal erinnert „Shall we dance“ an die Werke von Yasujiro Ozu. Am besten gefällt mir „Gu­shing Prayer“ (1971) von Masao Adachi. Es geht um vier Teenager, die ihren Entfremdungsgefühlen mit Gruppensex begegnen und versuchen, sich von der korrumpierten Welt der Erwachsenen loszusagen. Der Film ist aus der Perspektive der 15-jährigen Yasuko erzählt. Als sie bekennt, eine Affäre mit ihrem Lehrer gehabt zu haben, reden die Freunde ihr ein, sie sei eine Prostituierte. Vergnügen beim Sex zu haben wäre Verrat.

„Gushing Player“ illustriert das Vakuum nach dem Scheitern der Studentenbewegung. In dokumentarischen Bildern sieht man Panzer zur Terrorismusbekämpfung vorbeifahren. Immer wieder werden authentische Abschiedsbriefe junger Selbstmörderinnen zitiert. Die zurückhaltende Gitarrenmusik von Masato Minami lässt an den britischen Folkie Donovan denken. Sex ist ein Problem, über dass man allein nachdenken muss, sagt die Heldin. Manchmal erinnert das auch an den großartigen Film „Love Exposure“ von Sion Sono. Kurz vor Schluss heißt es „We lost against sex. We’re finished.“ Der Film endet mit dem schönen Satz: „Everything is over now. Nothing is left but progress.“