Ein wiedergefundener Schatz

Das ehemalige nigerianische Prestigeprojekt „Shaihu Umar“ galt lange als verschollen. In der Sektion Forum der Berlinale feiert der restaurierte Film nun Premiere

„Shaihu Umar“, Forum 2018, NGA 1976, von Adamu Halilu Foto: Nigerian Film Corporation

Von Stephan Ahrens

Das Rätsel beginnt im Internet. Ein User der größten Online-Filmdatenbank, imdb, kommentierte 2003 in dem Eintrag zu dem Film „Shaihu Umar“, dieser sei wichtig und müsse gesehen werden. Doch wie hat der namenlose Nutzer das Werk sehen können? „Shaihu Umar“ war einst das Prestigeobjekt einer untergegangenen afrikanischen Kinoepoche und galt lange als verschollen. Eher durch Zufall wurde er in einem verfallenen Archiv in Nigerias Hauptstadt Lagos wiedergefunden.

Unter der Leitung des Berliner Arsenals – Institut für Film und Videokunst – wurde er restauriert, fehlende Teile fanden sich in anderen Archiven. In der Sektion Forum der Berlinale feiert der restaurierte Film nun Premiere.

In der nordnigerianischen Stadt Rauta lebt um das Jahr 1900 der hochverehrte Imam Shaihu Umar, um ihn herum sind seine Schüler, die den Koran auswendig lernen. Eines Nachmittags fragen ihn zwei der Männer nach seiner Lebensgeschichte. Mit sanftem Lächeln erzählt er. Er stammt aus Kagara, sein Vater starb noch vor seiner Geburt. Seine Mutter fand einen neuen Mann, der aber bald aus dem Dorf verbannt wurde. Umar wächst bei einer Tante auf, bis er eines Tages entführt wird. Eine Hyäne tötet den Kidnapper, Umar ist indes nicht frei. Erneut verschleppen ihn Sklavenfänger, die entlang der subsaharischen Handelswege Sklaven an Araber verkaufen. Der wohlhabende Abdulkarim kauft den Jungen, erkennt seine Bestimmung und erteilt ihm Koranunterricht. Im ägyptischen Ber Kufa hat er seine Herkunft rasch vergessen. Doch eines Nachts erscheint ihm im Traum seine Mutter und er beschließt, zu ihr zurückzukehren.

Die Geschichte von Shaihu Umar ist kein Entwicklungsroman, handelt nicht von Wander- und Lehrjahren, sondern von einem vorherbestimmten Weg. Verfasst hatte sie 1955 Abubakar Tafawa Balewa, der erste Ministerpräsident Nigerias, der das Land in die Unabhängigkeit führte und nach dem Militärputsch 1966 ermordet wurde. Zehn Jahre später verfilmte Adamu Halilu sie mit überschäumender Fantasie. Er wechselt von beengten Lehmhütten zu rauschend grünen Landschaftsaufnahmen, von gespenstischen Nachtszenen zu glühenden Wüstenpanoramen. Gedreht ist der Film in Hausa, einer der über 400 Sprachen Nigerias. Halilu brauchte sich nicht zu beschränken, denn die vom Informationsministerium finanzierte Produktion war 1977 der offizielle Kulturbeitrag Nigerias beim legendären World Black and African Festival of Arts and Culture – er konnte in die Vollen gehen.

Mit Nollywood, wie man heute das nigerianische Kino bezeichnet, hat all das wenig zu tun. In Nollywood entstehen populäre, rasant gedrehte Filme, die direkt auf VHS oder DVD vertrieben werden. Dass es vor der Einführung von Heimkinosystemen eine goldene Epoche des nigerianischen Films gab, ist unbekannt. In den Städten das Landes standen große Kinos – heute zumeist Ruinen oder Pfingstkirchen – und die Filme, die dort liefen, vergammeln seither oder liegen vergessen in Archiven. Auf der Suche nach einem Kinosaal in Lagos fand 2015 ein Filmjournalist die Dosen von „Shaihu Umar“. Da sich in Nigeria keine passende Institution für eine Restaurierung fand, ging er damit nach Berlin. Zwei Jahre dauerte die Rekonstruktion und Restaurierung des Films.

Bei all der Bildgewalt ist die ideologische Leitlinie von „Shaihu Umar“ nicht zu übersehen. Er setzt die islamischen Institutionen ins Recht, predigt Geduld und Gottvertrauen. Doch dass es die Frauen sind, die den Fatalismus der Männer aushalten müssen, zeigt er auch. Umars Mutter Fatima bleibt dem Zuschauer eindrücklich in Erinnerung, denn „Shaihu Umar“ erzählt auch ihre Leidensgeschichte.

Von ihrer Verzweiflung, als ihr Mann stirbt, die Schmerzen der Geburt, das Abwägen, wen sie danach heiraten soll. Auf der Suche nach ihrem entführten Sohn wird sie selbst verschleppt, als Sklavin verkauft und landet schließlich in Tripolis. Dort liegt sie in Ketten. Fatima ist eine Madonna ohne Religion. Sie macht diesen Film, der als historischer Schatz und mit seiner visuellen Verve zu den aufregendsten Filmen der diesjährigen Berlinale zählt, zu einem menschlichen und unheimlich berührenden Werk. Und er ist nicht länger eines der Rätsel der Filmgeschichte: Er muss gesehen werden.

„Shaihu Umar“, Nigeria 1976, R: Adamu Halilu, Berlinale Forum, Delphi: 18. 2., 15 Uhr; Arsenal: 25. 2., 20 Uhr