Jahresbilanz der Lebensmitteltafeln: Weihnachtsschokolade für die Armen
Die Tafeln versorgen immer mehr Altersarme, manche haben einen Aufnahmestopp ausgerufen. Spenden entsprechen nicht immer dem Bedarf.
BERLIN taz | Susanne G., 66 Jahre alt, lebt seit Kurzem von einer kleinen Rente und Grundsicherung im Alter – und geht neuerdings immer dienstags zur Tafel in der Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg. Etwa 25 bis 30 Euro spare sie dadurch an Lebensmittelausgaben im Monat, sagt G. „Kartoffeln gibt es immer zu wenig, Eier manchmal gar nicht.“
Die Zahl der Altersarmen im Rentenalter, die zur Tafel kommen, steige, sagte am Donnerstag in Berlin Jochen Brühl, Vorsitzender des Dachverbandes Tafel Deutschland, anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Hilfsorganisation. Etwa jeder vierte Kunde der rund 2.500 Ausgabestellen in Deutschland sei inzwischen im Rentenalter. Vor zehn Jahren war dies erst jeder achte Kunde gewesen. „Die Tafeln sind ein Seismograf für Entwicklungen in der Gesellschaft“, meinte Brühl.
250.000 Tonnen Lebensmittel wurden im vergangenen Jahr ausgegeben, Tendenz steigend. 1,5 Millionen Menschen werden regelmäßig von den Tafeln versorgt. Vor zehn Jahren waren es nur 700.000 Menschen gewesen. 60.000 Ehrenamtliche helfen bei der Tafel, vor zehn Jahren waren es nur halb so viel Helfer. Etwa ein Fünftel der Ehrenamtlichen bezieht selbst Leistungen der Grundsicherung, hieß es am Donnerstag.
Die Systeme der örtlichen Tafeln unterschieden sich, sagte Brühl. Einige Tafeln lassen sich Hartz-IV-Bescheinigungen zeigen und geben Berechtigungskarten aus. Bei anderen wiederum könne jeder als Kunde vorsprechen. Tafeln in der Nähe von Flüchtlingswohnheimen hatten zwischenzeitlich die Ausgabe an Geflüchtete durch spezielle Kartensysteme rationiert. Die Ausgabesysteme hängen von der örtlichen Nachfrage ab. Es gebe auch hier und da Aufnahmestopps für neue Kunden, so Brühl.
1,5 Millionen Menschen versorgen die Tafeln. Vor zehn Jahren war es nur die Hälfte
Wie die Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, Evelin Schulz, sagte, gingen die Spenden aus den Lebensmittelfilialen zurück. Durch die digitale Erfassung von Lagerbeständen und Verkäufen reduziert sich der Überfluss. Man hole jetzt eher Großspenden ab, etwa aus Regionallagern oder bei Herstellern, und verteile diese dann, so Schulz. „Das können dann mal einige Paletten an Rote Beete im Glas oder große Mengen an Bananenyoghurt sein.“
Das Angebot richtet sich nach den Spenden von Herstellern und Supermärkten, nicht nach dem Bedarf der KundInnen. Das merkt auch Susanne G. „Neulich gab es ganz viel Yoghurt, dann plötzlich wieder gar nicht“, erzählt sie. Vor Kurzem konnte plötzlich jeder Kunde kiloweise Schokolade nach Hause schleppen. Es waren Weihnachtsnikoläuse, die nach dem Christfest niemand mehr kaufen wollte.
Leser*innenkommentare
Frank Stippel
Racial Profiling ist jetzt also auch bei den Tafeln angekommen, die Ausgabe an Flüchtlinge wird rationiert.
Der Sizilianer
"1,5 Millionen Menschen werden regelmäßig von den Tafeln versorgt" - wieviele es wohl wären, wenn die Tafeln ihre Dienste flächendeckend anbieten könnten?
Und wenn so viele Menschen in Deutschland die Zusatzversorgung durch die Tafeln nutzen (müssen) - wie kann man da noch ernsthaft unhinterfragt schreiben, Frau G. würde eine staatliche "Grundsicherung" erhalten?
25 Jahre Lebensmitteltafeln - ein wirklich trauriges Jubiläum.
Denn der riesige Erfolg dieses Konzepts ist doch im Grunde ein Beweis dafür, dass das - eigentlich verfassungsrechtlich garantierte! - "Existenzminimum" für Millionen Menschen momentan nicht gegeben ist.
Ist das so?
Und wenn ja - warum?