Der Störfall Frau

Premiere an der Staatsoper: Dmitri Tcherniakov inszeniert Wagners „Tristan und Isolde“. Daniel Barenboim dirigiert die Staatskapelle, Andreas Schager und Anja Kampe singen die Titelrollen

Mangels weiterer Informationen: Szene aus „Tristan und Isolde“ Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne

Von Niklaus Hablützel

Der Vorhang öffnet sich, noch bevor das Vorspiel zu Ende ist, denn der Regisseur möchte eine Pantomime aufführen. Herren im Anzug sitzen auf Clubsesseln um einen Tisch herum. Wände aus poliertem Holz, Designerleuchten an der Decke. Es könnte die Lobby vor dem Aufsichtsrat sein, der hinter der massig zur Säule ausgebeulten Rückwand tagt. Teuer genug sähe das hässliche Mobiliar dafür schon aus.

Die Männer sind beschäftigt, müssen noch Einzelheiten absprechen, stehen auf, setzen sich wieder. Der Musik hört keiner zu, der berühmten, die aus dem Graben davor erklingt. Sie spricht von weit ausgreifender, mythischer Sehnsucht, um den einen Akkord herum taumelnd, der in alle Richtungen weist und keinen Platz hat in den Regeln der Harmonie. Bekanntlich werden dabei selbst hartgesottene Wagnerhasser schwach, Dmitri Tcherniakov jedoch hält stur dagegen. Seine Bühne ist eng und niedrig in die schwarze Wand geschnitten, die das Prunkportal der neuen Staatsoper verschließt.

Ein Wagnerhasser ist Tcherniakov nun sicher nicht. Er hat das Werk auch schon mal in Russland inszeniert und der „Parsifal“, den er für Barenboim, Schager und Kampe in das Schillertheater gesetzt hatte, ist inzwischen Legende und wird jedes Jahr zu Ostern wiederholt. Was dort die bedrückende Einöde der postsowjetischen Provinz war, soll jetzt zur modernen Welt der Oligarchen werden. Bedrückend ist zweifellos auch sie, aber vor allem deswegen, weil sie unendlich langweilig ist.

Der Steuermann ruft, das Vorspiel ist verklungen. Die Herren sind offenbar auf hoher See und haben ein Problem. Sie verlassen die Lobby, um nachzuschauen. Es ist die Frau an Bord, die sie für ihren König in Irland eingekauft haben. Anja Kampe tritt auf, strähniges Haar, langer dunkler Mantel, begleitet von Ekaterina Gubanova, ihrer Dienerin Brangäne. Die singt energisch auf sie ein, doch Kampe fällt es ein wenig schwer, sich in die Rolle der Isolde hinein zu finden. Die Stimme ist sehr hart, wird schrill in den Spitzen. Das ist nicht schön, aber wahr, wie sich schon bald zeigen wird, denn Kampe entfaltet mit kleinen, treffsicheren Gesten und Akzenten der Stimme die innere Zerrissenheit dieser Frau. Dem Mörder ihres Verlobten hat sie mal das Leben gerettet. Jetzt hat er sie entführt, als „Zins“ für die Engländer. Ob sie ihn liebt? Nur Männer können so dumm fragen. Sie will ihn sehen.

Andreas Schager kommt ihr entgegen mit seinem makellosen Tenor aus Schwermetall. Er beginnt zu verstehen, und trinkt aus dem Becher, den sie ihm zur Versöhnung anbietet. Den letzten Schluck jedoch will sie für sich haben. Danach sinken beide in die Clubsessel und biegen sich vor Lachen: „Meine Isolde!“ „Mein Tristan!“ Es war das falsche Fläschchen, der Liebestrank, nicht das Gift, mit dem sie ihn eigentlich umbringen wollte.

Wollte sie das wirklich? Wieder eine Männerfrage, denn auf dieser für Mythen viel zu kleinen Bühne blitzt die Vision eines grandiosen Theaters auf. Dieses Stück könnte eine Komödie sein, wenn man es aus der Sicht der Frau erzählte. Sie ist der Störfall des Geschäfts und hinterlässt einen irren Krieger, der von ewigen Weltnächten träumt und sich nach der Mutter sehnt.

So zumindest bringt Tcherniakov den dritten Akt zu Ende. Tristan ist zu Hause in seiner verwahrlosten Kammer mit Schlafkoje und Sofa. Er jammert so lange, bis Mutter und Vater leibhaftig als Pantomimen vorbeikommen, schließlich auch Isolde und hinterher die ganze Truppe der Oligarchen, die ihrem gestrauchelten Helden verzeihen wollen. Zu spät, Schager liegt reglos da, Kampe, die Krankenschwester, schleppt ihn in die Schlafkoje und zieht hinter sich den Vorhang zu.

Dieses Stück könnte eine Komödie sein, wenn man es aus der Sicht der Frau erzählte

War das Liebestod? Nein, denn jetzt bringt Tcherniakov endlich Wagner ins Spiel. Denn wahr ist schon auch, was diese Musik ständig sagen möchte. Die Lust der Liebe ist ein Gefühl der Unendlichkeit. Sie ist der kleine Tod. Ob sie hier auch das Ende ist, das lässt Tcherniakov offen. Sein Ende führt in die Kulissen des Volkstheaters, das Paar zieht sich in die Schlafkammer zurück.

Was die beiden dort wie immer treiben, wäre eigentlich das Thema des zweiten Aktes: „Oh sink hernieder, Nacht der Liebe“. Dazu ist Tcherniakov leider gar nichts eingefallen. Die Lobby ist zum Wohnzimmer derselben Langweiler geworden. Kampe und Schager haben wenig Gelegenheit, ihr Rollenspiel fortzusetzen, weil sie sich nun in sexuelle Lust auflösen müssen. Tcherniakov hängt einen schamhaften Vorhang vor den Höhepunkt, auf dem nur farblose Videogesichter zu sehen sind.

Nur Barenboim und seine Staatskapelle sind auch jetzt zu hören. Man kann vielleicht Wagner hassen, aber nicht dieses Duett, auf keinen Fall, wenn es so gespielt und gesungen wird. Dazu ist es einfach zu unanständig schön.