Die Welt als Schneekugel

In Dubai bauen Menschen aus allen Ländern an einer Vision. Ein Zentrum für Touristik und Finanzen soll hier entstehen

VON VERA GÖRGEN

Liv Tyler lächelt mit einem kirschrotem Mund von den Plakaten. Neben ihr sind Lippenstifte, Make-up- und Nagellack-Kartons zu einer Miniatur-Skyline aufgebaut. „Small is beautiful“ lautet der Slogan, mit dem der internationale Kosmetik-Konzern wirbt. In Dubai wirkt diese Reklame fast subversiv.

Zumindest aber höchst fehl am Platz, denn klein ist hier rein gar nichts. Über die genaue Höhe des höchsten Turms der Welt, den man hier bauen will, schweigt man sich offiziell aus, um den Konkurrenten in Sachen Gigantismus – ob in Schanghai oder anderswo – keine Zahlen in die Hand zu geben. „Die Grenzen setzt nicht das Kapital und auch nicht das Gesetz“, sagt Christof Birkhofer, der in Dubai für ein deutsches Immobilienunternehmen arbeitet, „sondern allein das technisch Machbare“. Die glänzenden Fassaden und der zu Architektur gewordene Reichtum erinnern an das Altertum: Die riesigen Steinmassen, die unermüdlichen Bauarbeiter inmitten der Wüste lassen an das alte Ägypten und seine Pyramiden denken.

Nächstes Glied der Assoziationskette: das Alte Testament, Babel. Und dies nicht nur, weil hier der höchste Turm der Welt gebaut werden soll, sondern auch, weil kaum irgendwo auf der Welt so viele Sprachen auf einem so kleinen Gebiet zur Anwendung kommen. „Wir sprechen portugiesisch, deutsch, italienisch, arabisch, spanisch, englisch, französisch, schwedisch“ hatte die Stewardess von Etihad Airways während des Hinflugs über Lautsprecher verkündet. Dann kam die blonde Kine aus Norwegen in einer Uniform, die dezent den Tschador zitiert, den Schleier muslimischer Frauen. An ihren Hut drapiert, hängt er halb durchsichtig zur Seite. Kine serviert ein „Fusion- Menü“ mit „Geschmäckern von allen Ecken des Globus“.

So beginnt die Reise nach Dubai und so geht sie weiter. Wer sich in Deutschland Gedanken über die multikulturelle Gesellschaft macht oder Parallelgesellschaften fürchtet, der war noch nicht in Dubai. Eine Million Einwohner aus 200 Nationen, eine muslimische Gesellschaft, die sich zu achtzig Prozent aus Ausländern zusammensetzt. Dubais Probleme hätte Deutschland gerne, denn das Emirat hat tatsächlich, was hier allenfalls als Fata Morgana durch die Köpfe geistert. Steuern: keine. Benzinkosten: 20 Cent pro Liter. Kriminalität: so gut wie keine, zumindest nach offiziellen Angaben. Krankenkasse: kostenlos für die Dubaier. Bevölkerungsrückgang: Dubai hat 1,1 Millionen Einwohner, bis 2010 sollen es 2 Millionen sein. Arbeitsamt: überflüssig. Gigantismus statt neuer Bescheidenheit.

Die Sozialwohnungen sehen wie kleine Paläste aus, Familien, in denen der Vater nicht mehr arbeiten kann, dürfen mietfrei darin wohnen – diese Regelung gilt allerdings nur für Dubaier. Die Arbeitslosenquote unter den Ausländern: null Prozent, denn die Aufenthaltsgenehmigung ist an einen Arbeitsvertrag gebunden. Wer keinen Job mehr hat, muss gehen. Angst vor Überfremdung: nein – die Regierung reguliert die Einreise und gewährt jedem Land nur eine limitierte Menge an Visa. So will sie verhindern, dass eine nationale Gruppe Überhand gewinnt. In Dubai, einer Stadt, die zu vier Fünfteln von Ausländern bewohnt wird, erübrigen sich auf diese Weise Debatten um Integration und Leitkultur ganz von selbst.

Weil die Ölquellen in zehn bis zwanzig Jahren versiegen sollen, sorgen die Scheichs bereits vor: Sie investieren ihre Ölmilliarden in eine Stadt, die ein Zentrum für Tourismus und Finanzen werden soll. Im Sand erheben sich Oasen, Hotelanlagen, Wolkenkratzer – die Wüste lebt, denn sie ist die größte Baustelle der Welt. „The World“ heißt die künstliche Insel in Form der Kontinente, die Dubai im Meer aufschütten lässt: „Where the Vision of Dubai gets built“ heißt der Slogan auf den Plakaten, die dafür werben, sich dort ein Stück Land zu kaufen. Die Häuser auf diesem Planeten en miniature sollen jeweils im Stil desjenigen Landes errichtet werden, das sich an den Stellen des tatsächlichen Planeten Erde befindet. Die Insel funktioniert so wie ein Bild für Dubai und seine Identität, die sich aus tausenden Mosaiksteinen zusammensetzt: Die ganze Welt ist schon hier, um zu arbeiten. Weil man hier mehr verdient als im Heimatland, eine bessere Stelle bekommt, eine Stufe weiter oben in der Hierarchie steht.

Im modernen Babel sprechen die Menschen entweder englisch, französisch oder arabisch. Englisch sprechen die meisten Ausländer, die nach Dubai kommen. Einen schottischer Geschäftsmann, der Arabisch lernen wollte, hat eine Mitarbeiterin der Regierung gefragt: „Wozu denn das?“ Dubai sei doch der einzige Ort in der arabischen Welt, an dem man kein Arabisch zu sprechen brauche. Wie viele andere hat Richard O’Connor die Mischung aus „tollem Klima, viel Geld, einem gutem gesellschaftlichen Leben und steuerfreiem Gehalt“ nach Dubai gelockt. Er lebe allerdings in einer reinen Expatriate-Gesellschaft, sagt er. Weihnachten hat O’Connor mit einem traditionellen Christmas Lunch unter Briten gefeiert, abends gab es dann ein Weihnachts-Barbecue mit seinen australischen Freunden. „Hier ist alles getrennt. Ich komme nicht ins Gespräch mit Bauarbeitern aus Indien. In England tue ich das zwar auch nicht, aber ich könnte es: Ich könnte einfach in ein Pub gehen und mit Bauarbeitern reden.“

In Dubai trinken nur die Ausländer Alkohol, Muslimen ist dies untersagt: „Die hängen hier nicht in Bars herum.“ Auch weil in Dubai eine Stimmung herrsche wie im New York der Zwanzigerjahre: „Es gibt unheimlich viel Energie in dieser Stadt“, sagt er. In Dubai hätten auch die Leute mit dem niedrigsten Einkommen das Gefühl, sie bekämen etwas zurück und nutzten eine große, eine einmalige Chance.

Nabil ist ein Taxifahrer aus Marokko mit französischem Pass: „In meinem Haus leben ein Deutscher, ein Brite, ein Palästinenser, ein Inder und ein Sri Lanker. Das ist ganz normal hier“, erzählt er. Manchmal geht er in einen französischen Club zum Billardspielen, ansonsten hat er Freunde aus der ganzen Welt. Nabil fährt Touristen in die Wüste, die sich dort nach anstrengender Dünen-Safari in einem Camp bei orientalischen Bauchtanz-Darbietungen erholen. Tänzerin Leila ist Russin. „Vorher hatten wir eine Venezolanerin und davor eine Brasilianerin. Eine Palästinenserin oder eine Ägypterin wären viel teurer.“

Wohl keine andere Stadt der Welt wird von so vielen unterschiedlichen Nationen geprägt: Man braucht sich nur in eine der riesigen Shopping Malls zu setzen, ins Deira City Centre zum Beispiel, dem größten der Stadt, und die Leute zu beobachten. Hier die eleganten Araberinnen in schwarzen Abajas, die sich teilweise oder ganz hinter schwarzen Tschadors verbergen. Dort die Russinnen und Osteuropäerinnen, die das Verborgene mit Spitzenwäsche unter durchsichtigen Kleidern oder handbreiten Miniröcken zu minimieren suchen.

„Wenn die Inder Diwali feiern, leuchtet die ganze Stadt in bunten Lichtern“ schwärmt Immobilienmann Birkhofer, „mehr als am Nationalfeiertag der Vereinigten Arabischen Emirate.“ Dass eine derart multikulturelle Gesellschaft ohne große soziale Probleme existieren kann, hat verschiedene Gründe. Zum einen erleichtert die Sache ungemein, dass alle hierherkommen, um zu arbeiten, und ihre ganze Kraft in tatsächlich vorhandene Jobs fließt. Viele Inder, Pakistaner oder Sri Lanker sind hier, um ihre Familien zu versorgen. Frau Oi, eine kleine Frau mit schiefen Zähnen, arbeitet in einer Restaurantküche, sie schickt das Geld zu ihren Kindern, die bei der Großmutter aufwachsen. Herr Sammi sieht seine Kinder vierzig Tage im Jahr. Sein schönstes Erlebnis in der Woche, sagt er, ist wenn er an seinem freien Tag in die Shopping Mall geht und für sie ein Spielzeug kauft. Andererseits hat der Scheich strenge Gesetze erlassen: Wer sich etwas zuschulden kommen lässt, wird ausgeflogen und auf eine schwarze Liste gesetzt

Bis in die Fünfzigerjahre lebten in Dubai vor allem Fischer und Händler. 1967 wurde im Emirat Erdöl gefunden und die Fischerboote bekamen Turbomotoren: Rund vierzig Jahre später sind aus ein paar tausend Einwohnern mehr als eine Million geworden. Allein 300.000 Gastarbeiter arbeiten auf der wahrscheinlich größten Baustelle der Welt, der Boomtown Dubai. Auf 50 Milliarden US-Dollar wird das Bauvolumen bis 2010 geschätzt.

Weil das Emirat aus heißem Wüstensand besteht, lockt es die Touristen mit Aufsehen erregenden Luxushotels und unglaublichen Bauprojekten. Statt einer reizvollen landschaftlichen Umgebung bietet Dubai ihnen eine umso spektakulärere architektonische Kulisse an. Und wie es aussieht, könnte der Sprung vom Öl zum Tourismus gelingen. Die Reisenden strömen nach Dubai, allein 240.000 kamen im letzten Jahr aus Deutschland, um sich das Las Vegas Arabiens anzuschauen.

Fährt man vom Nachbar-Emirat Abu Dhabi hierher, gibt es keine Vorstadt, die die Metropole ankündigt. Plötzlich ist man mittendrin. Von weitem sieht man das Burj al Arab, das höchste Hotel der Welt. Seine segelartige Form ist mittlerweile – ähnlich dem Sydney Opera House – zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Im Restaurant, 200 Meter über dem Meer, hat man einen panoramaartigen Blick auf die Umgebung der Stadt: nichts als staubiger Wüstensand. Was die Dubaier nicht davon abhält, Hotels zu bauen, die zu den luxuriösesten der Welt gehören. Das Madinat Jumeirah zum Beispiel, einen wunderschönen, üppigen Palast, der den größten Pool des Mittleren Ostens beherbergt.

Aber die Dubaier bringen nicht nur das Wasser in die Wüste, sie bringen auch die Wüste ins Meer: 100 Millionen Kubikmeter haben sie zu einer palmenförmigen Insel in dem bis zu zwölf Meter tiefen Wasser aufgeschüttet. Vom Burj al Arab sehen der Stamm und die siebzehn Wedel wie eine Mischung aus Land-Art und Spielplatz für Millionäre aus. Sogar vom Mond aus soll man Dubai anhand der Palmenform ausmachen können. Ein unglaubliches, gigantisches Gebilde, wie eine umgekehrte Fata Morgana.

Dubai ist wie eine Diva, die ständig Aufmerksamkeit erregen will und sich mit Superlativen schmückt wie mit den Steinen einer kostbaren Kette. Geplant sind unter anderem: das größte Kaufhaus der Welt. Ein Vergnügungspark, mindestens doppelt so groß wie Disneyland. Die weltweit längste Indoor-Skipiste, und das bei sommerlichen Temperaturen von bis zu 50 Grad. Verwegen, doch um in die internationale Presse zu kommen, denken sich die vom Maktoum Clan regierten Dubaier immer neue Events aus. Das höchstdotierte Pferderennen des Planeten, ein Film-Festival mit einem Budget von zehn Millionen Dollar, ein Shopping-Festival, die Arabian Music Awards. Der Begriff „Vision“ wird hier viel gehört, das Wort „Grenze“ gehört nicht zum Vokabular.

Das Emirat will zum größten Finanzzentrum des Mittleren Ostens werden. Und für die 20.000, die hier arbeiten sollen, müssen natürlich auch Wohnhäuser gebaut werden, Schulen für die Kinder, Krankenhäuser – wie ein Schneeball, der einen Hang herunterrollt, wird alles immer größer. Viele der geplanten hundert neuen Hochhäuser in Dubai Marina stehen bereits. Die Gäste der neuen Cafés sitzen in einem Ambiente aus jungfräulichen Wänden und Böden, sauber wie Legosteine in der Verpackung. Vor ihren Augen spielt sich alles im Zeitraffer ab – wenn sie am nächsten Morgen wieder auf einen Kaffee vorbeikommen, dann sind die Häuser über Nacht schon wieder um ein Stockwerk gewachsen.

Die Umgebung sieht aus wie ein Ameisenhaufen und erinnert an die Serie „Die Fraggles“. Kleine Bauarbeiter sind wie die „Doozer“ ständig damit beschäftigt, Straßen, Brücken oder Türme zu bauen. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Die Münchner Hochhaus-Begrenzung durch Volksentscheid – in den Ohren der Dubaier muss sie klingen wie ein Märchen von den Lippen Scheherazades.

Zumal für die Bauarbeiter aus Indien oder Pakistan. Sie sind an die Hitze gewöhnt und für sie ist es auch nichts Ungewöhnliches, sich einen Raum mit anderen zu teilen. Sie sind in riesigen Baracken untergebracht und schlafen im Schichtwechsel: Wenn der eine aufsteht, legt sich der andere in sein Bett. Es gibt zwar eine Gegend, in der sich die indischen Restaurants zusammenballen, und es gibt auch Bars, in denen Philippiner dominieren. In der Regel aber haben die Ausländer kaum Zeit, ihre Kultur auszuleben – weil sie fast die ganze Zeit arbeiten. Fünfzig bis siebzig Stunden die Woche sind normal. „Hier kann man nicht rasten“, sagt O’Connor. „Alles geht so rasend schnell, und jeder von uns hat alle Hände voll zu tun, dranzubleiben.“

VERA GÖRGEN, 35, lebt als freie Autorin in der Traufhöhenverordnungs-Metropole Berlin