Wenn Banlieue-Kids Straußen-federn tragen

William Fan ist ein Shootingstar der Berliner Modeszene. Seine Entwürfe sind bequem und elegant; sie vereinen bäuerliche Ästhetikund Spektakuläres, Purismus und Exzentrik. Seine Models lässt Fan schon mal an Bushaltestellen warten – oder durch Restaurants schreiten

Eine Tasche aus Fans Herbst-Winter-Kollektion 2018 Foto: Studio William Fan

Von Marina Razumovskaya

William Fan ist ein Berliner. Er sitzt also, wie derzeit die halbe Stadt, auf einer Baustelle. Der junge, bei Hannover aufgewachsene Designer aus chinesischer Familie eröffnet gerade in der Großen Hamburger Straße einen eigenen Laden. Fan ist eines der vielversprechendsten Talente des German Fashion Council, dieser 2015 gegründeten Institution, die deutsche Designer*innen in wirtschaftlichen Fragen berät, Netzwerke webt und hilft, deutsche Mode im Ausland bekannt zu machen. Der Botschafter des Councils für China und ganz Asien heißt William Fan (wie etwa für die iranisch-arabische Welt Nobi Talaj).

Fan, der seit einigen Jahren sein Atelier im Scheunenviertel hat, liebt es, seine Mode zu inszenieren. Auf der Fashion Week vor zwei Wochen entführte seine Show in ein chinesisches Restaurant am Rand des Potjomkin’schen Nikolaiviertels. Die Zuschauer saßen unter chinesischen Lampions mit langen Quasten und die Models liefen durch die Gänge zwischen den Tischen. Fan machte die Gäste so mit einem kleinen Stück persönlicher Familiengeschichte vertraut: Die „Fan-Dynastie“ aus Hongkong hatte in den 1960er Jahren in der Nähe von Hannover die ersten traditionellen chinesischen Restaurants Deutschlands eröffnet.

Brokat und HipHop

Wo Fan diesmal den kleinen Ausschnitt aus seiner Jugend zeigte, da schweifte er im letzten Jahr zuerst nach Hongkong: Er hatte für seine Show im Staatsratsgebäude am Schlossplatz eine richtige chinesische Ladenstraße aufgebaut – mit kleinen Boutiquen, Lebensmittel-Geschäften und dem dichten Gewimmel einer chinesischen Stadt. Dort trugen alle Leute – Wunder und Zeichen! – seine Sachen. Ein paar Monate später, als er die jetzt zum Verkauf stehende, aktuelle Sommerkollektion 2018 präsentierte, saßen die Models im Kronprinzenpalais Unter den Linden an einer Fake-Bushaltestelle: Streetstyle, weit offene Hemden, HipHop, silberne Jacken auf nacktem Oberkörper. Und aus dem himmelblauen Brokat am Hemdkragen wuchsen Straußenfedern. Banlieue-Kids wurden Häuptlinge! Und immer trugen sie William Fans Markenzeichen: das tief in die Stirn schlabbernde Stoffhütchen, das er auch selbst gern auf dem Kopf hat.

Oft haben Fans Kollektionen also einen ganz bestimmten Hintergrund. „Meine Kollektionen zeigen Saison für Saison eine gewisse Dramaturgie und erzählen eine fortlaufende Geschichte“, sagt er. Konsequent eröffnete den Reigen für den Herbst 2018 ein Outfit der letzten Sommerkollektion. Fans Mode arbeitet gegen die Vergesslichkeit der Moden. Schon das rückt die Begegnung von asiatischem und westlichem Stil in Fans Kollektionen weit weg von jeder multikulturellen Beliebigkeit.

Die Begegnungvon asiatischemund westlichem Stil ist weit entferntvon Beliebigkeit

Und diese Begegnung bringt die erstaunlichsten Dinge hervor. Das weit geschnittene Hemd mit langen Ärmeln, dieses Grundelement von Fans Stil, verbündet sich mit Jackett und europäischem Revers. Oft werden Kleider, Mäntel, Jacken flächig und schichtenweise getragen. Aus der Weite, die den Körper nicht nachzeichnet, sondern umhüllt, entsteht eine eigene Art von Eleganz. Ultrabequem und zugleich elegant – das ist die chinesisch-europäische Formel. Oder ist sie chinesisch-britisch?

Fan betont, dass Hongkong, diese „erste Anlaufstelle für westliche Akteure“, britisch geprägt sei; eine Stadt, in der „asiatische und europäische Werte verschmelzen“. Er spricht sogar von einer „eurasischen Ästhetik“. Aber der britische excentric darf eben auch ein Wörtchen mitreden: Er hat einen Trenchcoat an und schlüpft nur in einen der beiden Ärmel, die andere Hälfte des Mantels liegt asymmetrisch auf dem Rücken.

Bei Fan trifft europäische Schneiderkunst auf chinesische Elemente. Sein europäisches Handwerk hat er auch während des Studiums im holländischen Arnhem gelernt. Auf einer Pressekonferenz im letzten Winter führte er ein kleines Stück seines Könnens vor: Er saß zusammen mit einem Autode­signer auf dem Podium und synchron zeichneten Auto- und Modedesigner vor aller Augen einen Entwurf. Fans Herrenanzug für den Mann aus der Autowelt saß schon auf dem Papier perfekt. Tausche Auto gegen Anzug!

Die chinesischen Elemente in Fans Entwürfen sind oft bäuerlich inspiriert. Zur Spannungslinie zwischen dem Asiatischen und dem Europäischen kommt die zwischen dem einfachen Bauernstil und dem Spektakulären. Einmal sind auf einer eleganten Jacke aus feinstem, kariertem Stoff Taschen aus Schaffell aufgesetzt, die auch zu kurzen Jacken aus kraushaarigem Fell werden.

Der Designer William Fan Foto: Studio William Fan

Glückskekse als Taschen

Ein anderes Mal trägt man über Baumwollhemden aus Popeline mit langen Ärmeln im chinesischen Bauernstil glänzende Brokatstoffe mit Glaskristallen oder chinesischen Blumenmotiven, weit geschnittene Capes aus Glencheck-Karo, in deren Falten chinesische Schriftzeichen aus Streichpailletten gestickt sind. Flächen in vornehm gedeckten Tönen sind oft durch grelle Farbblitze unterbrochen: Violett, Fuchsia, Orange. Dazwischen schummeln sich mitunter seltsame, Comic-artige Details ins Bild: Glückskekse als Taschen, Gummi-Fische als Schuhe, Hausschlappen aus Schaffell.

Diese Verbindung von Gegensätzlichem zeichnet Fans Stil aus – und auch seine Show: Er ließ verschiedene Altersgruppen auftreten, ältere Models posierten zwischen den jungen in glänzenden Gewändern. Am Ende sah man eine wunderschöne ältere chinesische Dame als Model in Pelzjacke und mit langen glitzernden Ohrringen – sie hatte sich ein wenig verirrt zwischen den vielen Kleidern, Stoffen, Kulturen, Gängen im Restaurant Fan.