Im Notfall schnelle Hilfe

Delhi gilt als Vergewaltigungshauptstadt. Indiens Polizei hat besonders bei Frauen einen schlechten Ruf – und will ihn nun mit Hilfe von Motorradpatrouillen und Apps verbessern

Gemeinsames Gebet für eine vergewaltigte Studentin. Seit der grausamen Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau 2012 hat Delhi den Ruf als Vergewaltigungshauptstadt Foto: Adnan Abidi/reuters

Aus Delhi Gundula Haage

Ein Vorzeigeprojekt der Polizei von Delhi soll die indische Hauptstadt für Frauen sicherer machen: „Raftaar“ heißt es– zu Deutsch Geschwindigkeit. Dabei patrouillieren 600 Polizist*innen auf Motorrädern durch die Stadt. Ausgestattet mit GPS-Sendern, Pfeffersprays, modernen Schusswaffen und Teasern sollen sie ein Zeichen setzen gegen sexuelle Gewalt – und im Notfall schnell zur Stelle sein.

Durch die engen Gassen in der Altstadt Delhis, voller Menschen, Verkaufsständen, Fahrrad­rikschas und heiligen Kühen, kommen Polizeiautos kaum hindurch. Daher findet die 23-jährige Aakanksha M., Geschichtsstudentin an der Delhi University, die Motorradidee gut. Erste raftaar-Fahrerinnen sind seit Mitte Dezember 2017 unterwegs. „Frauen in Polizeiuniformen auf Motorrädern, das ist schon ein starkes Bild“, sagt M. und hofft auf den Abschreckungseffekt für potentielle Täter.

Sexuelle Belästigungen wie das sogenannte „Eve-teasing“ sind weit verbreitet und gelten vielen Männern gar als Freizeitbeschäftigung: Mit dem verharmlosenden Euphemismus – zu deutsch „Eva necken“ – werden nicht nur anzügliche Andeutungen, sondern auch grapschen oder gar die Androhung zu sexueller Gewalt bezeichnet. Seit der grausamen Gruppenvergewaltigung einer Delhier Studentin im Dezember 2012 hat Delhi den Ruf einer „Vergewaltigungshauptstadt“. Neue Gesetze stellen unter anderem Vergewaltigungen in der Ehe, Stalking und Voyeurismus unter Strafe. Ein aktueller Bericht von Human Rights Watch beschreibt diese Reformen zwar als positiv, beklagt aber ihre lückenhafte Umsetzung. Das National Crime Records Bureau berichtete jüngst, dass Delhi 2017 statistisch ganz vorn bei Gewalt gegen Frauen und Kindern lag. In dem Jahr wurden bis zum 15. November in der Stadt über 11.500 Übergriffe angezeigt, darunter 894 Vergewaltigungen.

Die UN hat den 6. Februar zum „International Day of Zero Tolerance for Female Genital Mutilation“ ausgerufen.

200 Millionen Frauen und Mädchen sind nach UN-Schätzung an den Genitalien verstümmelt, fast ausschließlich in muslimischen Ländern. Am verbreitetsten ist der Brauch an Frauen in Somalia, Dschibuti und Guinea; bei Mädchen in Gambia, Mauretanien und Indonesien.

http://www.un.org/en/events/femalegenitalmutilationday/

Die Dunkelziffern dürften sehr viel höher sein, glaubt Ranjana Kumari, Leiterin des Centre for Social Research in Delhi: „Sexuelle Gewalt wird von weiten Teilen der Bevölkerung normalisiert und die Opfer in einer „she-was-asking-for-it“-Manier („sie hat es herausgefordert“) selbst für ihr Unglück verantwortlich gemacht. Darum werden immer noch viel zu wenig Fälle angezeigt“, erklärt sie.

Delhis Polizei setzt nicht nur mit Hightechmotorrädern ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt, sondern auch mit der Notruf-App „Himmat“ – zu Deutsch: Mut. Ist die App auf dem Handy installiert, wird per Knopfdruck die Polizei alarmiert, der Standort der Betroffenen versendet und ein Livemitschnitt der jeweiligen Telefonkamera gestartet. Damit sollen etwaige Täter*innen schnellstmöglich identifiziert werden.

Die Figur des indischen Polizisten ist nicht nur in vielen Bollywoodfilmen ein Synonym für Korruption, Brutalität und beiläufige Frauenfeindlichkeit. Die Zeitung Hindustan Times befragte im vergangenen November 38 der 45 Polizeireviere in Delhi. Bereits in dieser Auswahl zählte sie über 150 Fälle, in denen Polizisten innerhalb der letzten sechs Jahre wegen sexueller Übergriffe angeklagt wurden.

Nun hat die Polizei von Delhi sich etwas einfallen lassen: Sie hat den als Darsteller ma­chohafter Polizisten bekannten Bollywoodstar Salman Khan verpflichtet. Der Schauspieler bewirbt neuerdings offiziell die – bereits 2015 eingeführte, aber zunächst kaum benutzte – Notruf-App himmat, um sie bei seinen Fans populär machen. Noch in diesem Monat soll evaluiert werden, ob und inwieweit raftaar sich inzwischen bewährt hat.

„Frauen in Polizei-uniformen auf Motorrädern, das ist ein starkes Bild“

Studentin in Delhi

Der Delhier Frauenrechtsaktivistin Manasi Mishra bleibt skaptisch: Öffentlichkeitswirksame Projekte wie raftaar und himmat dienten eher dem angeschlagenen Image der Polizei, als dass sie die aktuelle Situation effektiv verbessern“, erklärt sie und fordert eine Quotenregelung von 33 Prozent Frauen innerhalb der Polizei. 2017 waren nur etwas über 10 Prozent aller Polizist*innen Delhis weiblich.

Navaneetha Mokkil, Dozentin am Centre for Women’s Studies der Jawaharlal Nehru University Delhi, betrachtet raftaar und himmat als wichtige Schritte in die richtige Richtung. Aber es bleibe noch viel zu tun, sagt sie: „Solange Eltern ihre Söhne bevorzugen und den Bildungszugang von Mädchen als weniger wichtig erachten, solange sich der Stellenwert von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft nicht grundsätzlich verbessert, wird auch das Problem sexuell motivierter Gewalt nicht zu lösen sein.“