Kommentar Andrea Scharpen über die Pädophilie-Aufarbeitung an der Uni Hannover

Es wird Zeit

Es ist eine Verhöhnung der Opfer, dass sich die Aufklärung über Jahrzehnte hinzieht. Der Mann, der verschuldet hat, dass mindestens drei Jungen von Pädophilen missbraucht wurden und der mit verharmlosenden Gutachten Sexualstraftäter rausgepaukt hat, wurde Zeit seines Lebens als Revolutionär der liberalen Sexualerziehung gefeiert. Dabei hätte die Uni Hannover schon zu Lebzeiten Helmut Kentlers wissen können, wen sie da geholt hat.

Ein Blatt nimmt er in seinen Aufsätzen jedenfalls nicht vor den Mund: Schreibt von Masturbationen und Analverkehr zwischen Pflegevater und -kind und darüber wie glücklich die darüber seien: „Schmusen mit ihm ist schön“, zitiert Kentler angeblich eines der Pflegekinder.

Auch die taz würdigte Kentler noch 2008 in einem Nachruf als „verdienstvollen Streiter für eine erlaubende Sexualmoral“ und hielt ihm zugute, „trotz aller Kritik“ darauf beharrt zu haben, „dass Sexualität nicht schmutzig sein müsse, auch nicht jene zwischen den Generationen“.

Wie kann es bitte sein, dass die Aufarbeitung dieser Verbrechen, denn nichts anderes ist es, Kinder an Pädophile zu vermitteln, erst nach Kentlers Tod beginnt? Die taz hat, ein Jahrzehnt nach Emma, 2013 die Kurve gekriegt und einen schonungslosen Artikel über Kentler veröffentlicht, andere Medien zogen nach.

Wie konnte es bei diesem Medienecho also sein, dass die Universität Hannover, bei der Kentler Berufsschullehrer unter anderem für die Sexualerziehung von Schülern ausbildete, bis Ende 2016 weiter geschlafen hat? Erst im letzten Jahr fing sie an, nach der Personal- und Promotionsakte Kentlers zu suchen. Seit die Hannoversche Allgemeine Zeitung stochert, geht die Uni in die Offensive. „Zeitnah“ soll eine eigene Untersuchung folgen. Wann genau? Das kann die Uni noch nicht sagen.

Man könnte es, jetzt da der öffentliche Druck groß ist, als bloßes Lippenbekenntnis interpretieren. Es ist aber wichtig, dass das Präsidium auch dann an der Aufarbeitung dran bleibt, wenn das Medieninteresse wieder abnimmt – allein um als eine der Institutionen, die Kentlers Karriere gefördert haben, einen Schritt auf seine Opfer zuzugehen. Denn die leben noch.