Ärger
mit den
Bad Boys

Nach dem vorzeitigen Ausscheiden der deutschen Handballer bei der EM stellt sich die Frage, ob die ehrgeizigen Ziele in der Zukunft angesichts des zerrütteten Verhältnisses zwischen Team und Trainer Christian Prokop erreicht werden können

Sie haben sich bemüht: Das EM-Zeugnis der deutschen Handballer (weiße Trikots), hier gegen Spanien, fällt dürftig aus Foto: dpa

Aus Varazdin Michael Wilkening

Es ist im Rückblick schwer festzulegen, wann genau die Entfremdung zwischen Christian Prokop und den Spielern der deutschen Handball-Nationalmannschaft begonnen hat, aber es spricht viel dafür, dass sie in Neu-Ulm eine nicht mehr zu kontrollierende Dynamik bekommen hat. Mit dem Verzicht auf Abwehrchef Finn Lemke, einem der Anführer der „Bad Boys“, den der Bundestrainer nach dem finalen Testspiel vor der Europameisterschaft aus dem Kader strich, begann die Entfremdung zwischen Coach und Team.

Am Donnerstag saß Prokop ein letztes Mal im Besprechungsraum des Teamhotels der deutschen Handballer in der Nähe von Varazdin. Neben ihm hatten rechts Bob Hanning und links Andreas Michelmann Platz genommen. Der Trainer wurde vom Vize­präsidenten und Präsidenten des Deutschen Handballbundes (DHB) in die Zange genommen. Die Sitzordnung hatte symbolischen Charakter. Der Handballlehrer fühlte sich unwohl auf der Pressekonferenz, von Minute zu Minute nahm die Verunsicherung bei ihm sichtbar zu. Seine Augen wanderten hektisch hin und her und als die Runde offiziell beendet war, suchte der 39-Jährige fluchtartig den Ausgang.

Im erfolgreichen Nationalteam stieß Christian Prokops Erneuerungsdrang auf Unverständnis

Das 27:31 gegen Spanien im letzten Hauptrundenspiel und die katastrophale Vorstellung in der 2. Halbzeit am Vorabend hatten den Druck auf den Bundestrainer noch einmal deutlich erhöht. Das hatte Prokop zusätzlich unter Stress gesetzt. Ein „Weiter so“ werde es nicht geben, hatte Hanning ein paar Stunden vorher angekündigt und es war klar, dass es auch darum gehen wird, ob Prokop der richtige Mann ist, um die ehrgeizigen Ziele des Verbandes umzusetzen.

„Die gleichen Zeitungen, die jetzt hier sitzen, haben mich vor ein paar Monaten als Messias bezeichnet, als Julian Nagelsmann des Handballs“, sagte Prokop, als er darauf angesprochen wurde, ob er einen Rücktritt aus freien Stücken ausschließen könne. Der Trainer war gereizt, gleichzeitig aber nicht bereit, Fehler wie den mit der Nichtnominierung von Lemke einzugestehen. „Ihn vor dem Mazedonien-Spiel zu holen, war wegen des Gegners eine richtige Korrektur“, sagte Prokop – eine vorherige Fehleinschätzung wollte er damit nicht zugeben. Christian Prokop hat in den zurückliegenden zwei Wochen Fehler gemacht. So etwas muss man einem Novizen auf internationalem Niveau zugestehen, doch der Umgang mit Fehlern sorgte intern für Ärger. Der Trainer wolle immer das letzte Wort haben und den Spielern alles vorschreiben, ist aus dem Kreis des Teams zu hören. Im Moment äußert diese Kritik niemand öffentlich – doch das kann sich ändern.

Der Trainer, mit einem Vertrag bis 2022 ausgestattet und für eine Ablöse von etwa 500.000 Euro vom SC DHfK Leipzig losgeeist, hat wiederum nicht alles falsch gemacht. Er war bereit, Fehleinschätzungen zu korrigieren. Prokop holte Lemke in den Kreis der Mannschaft zurück, er rückte nach einer kleinen Meuterei von seinem Abwehrkonzept ab und entschied sich für weniger personelle Wechsel während der Spiele. Bezeichnend ist, dass das Spiel der Deutschen mit jeder kleinen Abkehr von seiner Herangehensweise stabiler und besser wurde – auch wenn das Scheitern durch den internen und externen Wirbel nicht mehr abwendbar war.

Coach Christian Prokop Foto: dpa

In Leipzig bestach Prokop durch Aufbauarbeit, die Nationalmannschaft hingegen war vor ihm bereits erfolgreich, so dass er mit seinem Hang, vieles neu machen zu wollen, erst auf Verwunderung, später auf Unverständnis und irgendwann in Teilen auf Ablehnung stieß.

„Das Ziel ist, mit dem Trainer weiterzuarbeiten“, sagte Hanning gestern, aber der DHB-Vize erklärte auch: „Es gibt unverhandelbare Visionen.“ Im kommenden Jahr bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land und ein Jahr später bei den Olympischen Spielen sind Medaillen das Mindestziel.