Es ist wichtig,nett zu sein

Roger Federer, 36, besiegt sie alle: junge Herausforderer, alte Kämpen. Der Schweizer steht bei den Australian Open in Melbourne vor dem Gewinn des zwanzigsten Grand-Slam-Turniers

Heiliger St. Roger auf Mission Titelgewinn: Federer schlägt den Südkoreaner Hyeon im Halbfinale der Australian Open Foto: dpa

Aus Melbourne Jörg Allmeroth

Es war mal wieder das große Thema vor diesen Australian Open. Die Frage, ob die nächste und übernächste Generation endlich an der Vormachtstellung der munteren Alten kratzen würde. Doch wie sieht die Zwischenabrechnung aus, am Schauplatz Melbourne, nach knapp zwei Wochen? Es grüßte aus der Rod Laver Arena der älteste Grand-Slam-Finalist seit 1972, ein gewisser Roger Federer, der ewige Maestro, der beharrliche Meisterspieler, der seine Karriere jenseits der 30 immer weiter veredelt. Fast ohne jegliche Anstrengung übersprang er die vorletzte Hürde auf dem Weg zu seinem sage und schreibe 20. Major-Titel, im Halbfinale warf sein 15 Jahre jüngerer Rivale Hyeon Chung nach 62 Minuten das Handtuch, beim Stand von 1:6 und 2:5 gab der Südkoreaner wegen schmerzhafter Blutblasen unter den Füßen ein Match auf, das nie ernsthaft eines war. „So will man nicht gewinnen“, sagte Federer, „aber natürlich freue ich mich jetzt riesig aufs Endspiel und auf die Chance, den Titel verteidigen zu können.“

Kurios genug: Am Sonntag steht Federer mit dem Kroaten Marin Čilić ein Mann im Finale gegenüber, der vor rund einem halben Jahr ähnliche Pro­ble­me gegen ihn hatte wie aktuell der arme Chung. Tränenüberströmt saßČilić damals auf seinem Centre-Court-Stuhl. Lange vorm eigentlichen Ende des Wimbledon-Finales wusste der 29-Jährige, dass sein Titeltraum geplatzt war. Wie Chung ließ sich Čilić wegen Blasen an den Füßen behandeln, aber die Schmerzen waren größer als der Wille des Kroaten. Er spielte allerdings noch zu Ende, aber es war kein normales Duell mehr. „Ich bin sicher, dass es am Sonntag anders wird. Marin ist in großartiger Form, er wirkt gesund und fit. Ich stelle mich auf massive Gegenwehr ein“, sagt Federer.

Er selbst aber bleibt das Phänomen des Herrentennis. Als er am Freitag von Centre-Court-Interviewer Jim Courier, dem ehemaligen Weltranglisten-Ersten, gefragt wurde, wie sich die Chance anfühle, nun schon um den 20. Grand-Slam-Titel zu spielen, sagte Federer: „Es ist schlicht unglaublich. Das hätte ich vor einem Jahr noch für einen Witz gehalten.“ Damals, zur Erinnerung, hatte Federer vorm Titelcoup gegen Nadal eine sechsmonatige Verletzungspause und auch eine sehr lange Durststrecke hinter sich gebracht – zwischen Major-Titel Nummer 17 (2012, Wimbledon) und dem Sieg in Melbourne lagen immerhin viereinhalb Jahre. Federers Qualität sei eben auch, „über seine ganze Karriere eine grundsätzlich positive Attitüde auszustrahlen“, sagt Pat Cash, der australische Exsuperstar: „Er glaubt unverwüstlich an seine Chance. Und er tut auch alles dafür, immer wieder neue Chancen zu bekommen.“

Federer hat in seiner Ausnahmekarriere alle nur möglichen Rekorde gebrochen, man könnte ganze Zeitungsseiten damit füllen, ohne dass es einem langweilig würde bei dem imposanten Zahlenwerk. Aber faszinierender ist der Mensch im Champion, der Mann, dem trotz seiner erdrückenden Dominanz in vielen Karrierejahren selbst die Kollegen nie böse sein konnten. Federer ist mit seinen 36 Jahren mehr denn je der universale Tennisbotschafter – neben dem knallharten Wettkämpfer, der er natürlich auch ist. In Melbourne, bei diesen Offenen Australischen Meisterschaften des Jahres 2018 war das wieder einmal zu beobachten.

Was passierte, als sein ärgster Rivale Nadal wegen einer Hüftverletzung den Titelkampf einstellen musste? Federer schickte ihm noch vor der Abreise eine Botschaft, wünschte ihm das Beste für die Genesung. Was passierte, als Alexander Zverev geknickt nach seinem Knock-out gegen Chung in die Kabine schlich? Federer munterte ihn auf, sagte ihm, er solle über die Niederlage nicht die Perspektive für eine glänzende Karriere verlieren. Es gab noch mehr Beispiele für sein Lebensmotto: Es ist nett, wichtig zu sein. Aber noch wichtiger, nett zu sein.

Was die Nettigkeiten auf dem Centre Court angeht, gilt für Federer immer dies: Der größte Respekt, den man einem Gegner erweisen kann, ist der eigene bestmögliche Einsatz. Für die, die ihm bisher in Melbourne gegenüberstanden, gab es nicht viel zu holen, er ließ den Kollegen noch keinen Satzgewinn, ganz gleich, welcher Altersklasse sie angehörten. Zwei Stunden und 14 Minuten gegen den Tschechen Berdych, das war bisher noch der aufwendigste Einsatz des Eidgenossen. Nun folgt das siebte Australian-Open-Finale, das 30. seiner Karriere. Mit dem zwanzigsten Sieg? „Ich bin gerüstet für einen großen, intensiven Fight“, sagt Federer. Vielleicht hofft er selbst darauf, endlich mal gefordert zu werden.