Hamburger Szene von Ilka Kreutzträger
: In der Umkleide

Stets scheinen sie auf ihrer eigenen Bühne zu stehen, auf der Suche nach anerkennenden Blicken. Applaus? Wieso nicht

Da drin ist kein Platz mehr. Das kann ich hören, ehe ich um die Ecke biege. „Ich meine, er hatte ja alle Certifications und Skills und dergleichen, aber er muss dann auch abliefern“, sagt die eine Stimme. „Richtig und ich mein, irgendwann kommst du da auch logistisch an die Grenzen“, sagt die andere Stimme. Solche Sätze quillen aus der Umkleide und kommen mir schon auf dem Weg dahin entgegen. Ich muss da aber rein, meine Sachen stecken in Spind 374. Nun, logistische Grenzen welcher Art auch immer sind zum Überwinden da.

Artikulierer, so nennen mein Freund und ich diese Typen. Geschlechtergrenzen kennt diese Sorte Mensch nicht. Es sind Leute, die dieses winzige Bisschen zu laut, zu deutlich, zu wohlartikuliert sind. Stets scheinen sie auf ihrer eigenen Bühne zu stehen, auf der Suche nach anerkennenden, wenigstens neugierigen Blicken. Applaus? Wieso nicht. Morgens beim Portugiesen zum Beispiel, da stehen sie leicht vorgebeugt am Tresen, immer ein wenig zu nah an allem dran und gucken sich an, was sie eh schon kennen. Ja, guten Morgen! Was nehme ich denn heute? Oh, das sieht aber lecker aus, mh! Ich nehme erst mal einen Galão, haha, einen Groooßen. Und dann noch eins von diesen fantastischen Croissants, haha, ja, das brauche ich einfach! Habe heute einiges vor!

Derart raumeinnehmend sind auch die Typen in der gemischten Umkleide. Beide tragen die gleiche frisch gestutzte Kurzhaarfrise in Dunkelblond, schwarze Schwimmleggings bis zum Knie, der eine mag schräge weiße Streifen, der andere gerade weiße Streifen. Schwarze kastige Tasche, alles glatt­rasiert, Schwimmbrille, nur ein kleines gefaltetes Handtuch, vielleicht gebügelt? Na gut, das mag mein Argwohn da reininterpretiert haben. „Ich meine, zum Gespräch eingeladen zu werden, das ist doch überhaupt kein Problem“, winken die schrägen Streifen ab. „Aber die müssen dann was bringen, müssen abliefern, sonst kannste ja gleich noch so einen Sebastian einstellen“, erwidern die geraden Streifen. Brüllend komisch offenbar, die beiden lachen mich fast wieder aus der Tür raus. Sebastian, du arme Sau.

Ich drücke mich in die Umkleide. „Ich muss da ran“, sage ich und deute auf Spind 374. Die schrägen Streifen schieben Kosmetika, Kontaktlinsen, Handtücher und Co ein wenig zur Seite. Gespräch unterbrechen? Leiser reden? Ach, woher denn. Der wahre Artikulierer lässt sich nicht aufhalten. Ich hole eine Sache nach der anderen aus dem Spind, Schräg-Streif muss ständig einen Schritt zur Seite treten, kommt immer minimal aus seinem Gesprächstritt, runzelt die Stirn. Ein Schuh, einen Socken, ein Shirt, noch einen Socken, und so fort. Bis sie dann endlich fortgehen und die Umkleide plötzlich gar nicht mehr so klein scheint.

Ehe die Tür zur Dusche zufällt höre ich sie noch: „Haha, wenn es so billig wird, ja dann können wir ja auch gleich Griechen einstellen.“ „Von denen nehmen wir dann gleich zwei.“ Haha! Ich nehme meine Sachen und verschwinde schnell.