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Mit Kellen-Geklapper

Die 83. „Internationale Grüne Woche“ schlägt den Bogen vom Biobauern zur globalen Ernährungsindustrie – und ruft Kritiker auf den Plan: „Wir haben es satt!“

Ökolandbau vs. Industrie: Da stoßen konträre Ansichten aufeinander Foto: Stefan Boness/Ipon

Von Manfred Ronzheimer

In Berlin wird gerade jeder Geschmack bedient: Die größte Agrarmesse der Welt für Bauern und Kostgänger, das ranghöchste Treffen internationaler Landwirtschaftsminister, aber auch heftiger und kreativer Protest gegen ihre Politik und die Agroindustrie auf der Straße. Und dann ist da noch eine Halle voller Öko-Aktivisten, die mitmachen – aber eben anders. Alles wird in diesen Tagen rund um die 83. „Internationale Grüne Woche“ serviert.

Im Berliner Messekalender ist die „Grüne Woche“ neben der Funkausstellung im Sommer ein Urgestein und Top-Event. Sie fand erstmals 1926 statt. Ihren Namen, so die Messe-Saga, hat sie von der grünen Farbe der Lodenmäntel bekommen, in denen die Bauern damals in die Reichshauptstadt strömten. Mit 400.000 Besuchern jährlich ist sie heute die größte Messe Berlins. Über 1.600 Aussteller aus mehr als 60 Ländern geben in 23 Hallen einen umfassenden Überblick über den Weltmarkt der Ernährungsindustrie sowie eine „Leistungsschau der Landwirtschaft und des Gartenbaus“ (Tageskarte 15 Euro). Partnerland ist diesmal Bulgarien. Russland ist nach zweijähriger Absenz als Reaktion auf den EU-Boykott nach der Krim-Besetzung wieder dabei.

Freunde des ökologischen Landbaus sollten die Halle 1.2 ansteuern, wo sich unter dem Motto „Bio – mehr Platz für Leben“ die Bio-Branche präsentiert. Der Claim spielt an auf das Wachstum der pestizidfreien Landwirtschaft, die im Vorjahr in Deutschland gegenüber 2016 um 15 Prozent an Fläche wuchs. Inzwischen produziert jeder zehnte Hof nach Öko-Kriterien. „Hier kommen Sie mit Bio-Praktikern wie Bauern, Bäckern, Imkern und Winzern ins Gespräch, können sich von ihren leckeren Produkten überzeugen und sie auch gleich für den Genuss zuhause kaufen“, lädt Peter Röhrig, Geschäftsführer des deutschen Dachverbands der Bio-Branche Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zum Besuch ein. „Aus erster Hand alles über Bio zu erfahren – das ist das Besondere der BioHalle“. Aussteller sind unter anderem Bio-Verbände Bioland, Demeter und Naturland.

Dennoch, auf dem Großteil der Äcker und in den Ställen dominiert eine Landwirtschaft, die immer weniger naturnah und immer stärker industriell produziert. Die ökologischen Folgen, wie das rasante Insektensterben und der Verlust von Wildpflanzen, bereiten immer mehr Menschen Sorgen und fordern zum Protest heraus. Ein lauter Aufschrei für eine andere, ökologisch verträgliche Landwirtschaft und gegen das Vordringen des agroindustriellen Komplexes ist seit einigen Jahren die Demonstration „Wir haben es satt!“, organisiert von Umweltverbänden und kleinbäuerlichen Organisationen. Auch an diesem Samstag wird der Protestzug mit Traktoren und originell gestalteten Motivwagen vom Berliner Hauptbahnhof startend (ab 11 Uhr, Washingtonplatz) durch das Regierungsviertel zu ziehen. Anlass ist das zeitgleich im Bundeswirtschaftsministerium stattfindende Treffen von Agrarministern aus 80 Ländern. „Wir haben die fatale Realität der industriellen Landwirtschaft satt – und wir wissen, wie es besser geht“, heißt es im Aufruf zur Demonstration, an der sich 50 Organisationen beteiligen. „Unternehmen wie Bayer und Monsanto fusionieren zu immer größeren Megakonzernen, wollen Macht vom Acker bis zum Teller – und verdienen Milliarden mit unserem Essen“. Die Konsequenz davon zeigten sich in Lebensmittel-Skandalen, unbeschränkter Glyphosat-Verwendung und Antibiotikaresistenzen, Verlust der Artenvielfalt und verschmutztes Trinkwasser, Gentechnik und Patente auf Pflanzen und Tiere. Daher: „Schluss mit dem Durchmarsch der Konzerne!“

Neben der Agrarwende in Deutschland, wo mit der anhaltenden Regierungsbildung noch politische Einflussnahme möglich ist, haben die Demonstranten auch die internationale Situation im Blick. „Aggressive Exportstrategien und verfehlte Agrarpolitik ruinieren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf der ganzen Welt“, so der Demo-Aufruf. „Mit Kampfpreisen und Landraub ziehen große Konzerne den Bauernhöfen im globalen Süden und in Europa den Boden unter den Füßen weg“. Daher: „Für globale Bauernrechte und eine weltweite Agrarwende!“ Als „Kochtopf-Großdemonstration“ mit Pfannen- und Kellen-Geklapper will sich die Agrar-Opposition mit mehreren Zehntausend erwarteten Teilnehmern in diesem Jahr besonderes Gehör für den Appell „Wir haben Agrarindustrie satt!“. Die Abschlusskundgebung soll etwa um 13.30 Uhr am Brandenburger Tor sein.

www.gruenewoche.de

www.boelw.de

www.wir-haben-es-satt.de