Theaterkooperation Osnabrück-Maputo: „Ein Kampf gegen sexuelle Gewalt“

Medea2 ist eine Produktion des Theaters Osnabrück und des Teatro Avenida aus Mosambik. Dessen Intendantin erklärt den Gewinn der Kooperation.

Intendantin Manuela Soeiro vor einem Kassenhäuschen eines Theaters in Mosambik.

Manuela Soeiro ist Intendantin des Teatro Avenida Foto: Malin Palm

taz: Ihre Autobiografie heißt übersetzt: „Beruhigt die Seelen“. Beschreibt das eine Aufgabe des Theaters in Mosambik?

Manuela Soeiro: Ehrlich gesagt: Ich weiß gar nicht, wer im Verlag den Titel ausgesucht hat. Aber tatsächlich hat Theater auch diese Aufgabe, ja: Es gibt sehr viele Probleme, die keiner für sich alleine lösen kann, mich eingeschlossen. Theater kann aber Lösungen inspirieren.

Also sollte es nicht aufstacheln oder aufregen?

Doch. Es hat viele Funktionen. Es dient auch der Unterhaltung und der Zerstreuung und der Anteilnahme.

Welche Rolle spielen die Kooperationen und Begegnungen mit europäischen Theaterleuten für Sie?

Manuela Soeiro

72, wuchs in einer multiethnischen Familie auf und besuchte eine katholische Mädchenschule. Das Teatro Avenida ist die Spielstätte des festen Ensembles Mutumbela Gogo, das Soeiro „als Theater jenseits der gewohnten Wege“ etabliert hat, in dem die Landessprachen ihre Würde erhalten und „wir Mosambikaner unsere kulturellen Wurzeln aufsuchen“ können, wie sie sagt.

Ich habe ja mit Henning Mankell lange zusammen gearbeitet. Dabei habe ich auch Dominique Schnizer kennengelernt, der jetzt hier am Theater Osnabrück ist und hier für das Projekt zuständig. Mankell hatte uns damals zusammengebracht. Ich empfinde diese Zusammenarbeit als sehr sinnvoll, gerade weil die Theatertraditionen so unterschiedlich sind und man beim Austausch insbesondere von den Techniken der anderen profitieren kann.

Was zeichnet das mosambikanische Theater aus?

Es gibt in Mosambik eine große und auch ziemlich populäre Theatertradition, die sich sehr deutlich von der europäischen abhebt. Sie ist stark durch Tanz geprägt, und sie ist sehr partizipativ. Europa hat dagegen ein Schauspiel, das viel mehr vom Text her kommt und durch Worte bestimmt wird. Es ist sehr interessant zu sehen: Wie funktioniert dieses Theater? Das war für mich bei der Arbeit mit Henning Mankell wichtig, das ist es auch jetzt mit Dominique: Formen und Techniken kennen zu lernen, um mit Texten auf der Bühne zu arbeiten.

Für das Osnabrücker Projekt greifen Sie auf den Medea-Stoff zurück, der seit 2.000 Jahren bearbeitet wird …

… und immer noch genauso aktuell ist: Das war so ähnlich mit Mankell, mit dem wir Lysistrata bearbeitet haben, eine mosambikanische Version von Lysistrata: Dieselben Probleme sind auch 2500 Jahre später aktuell. Obwohl das Stück vor so langer Zeit in Europa entstanden ist , hat es uns im Mosambik der Gegenwart betroffen.

Am Theater Osnabrück wird am 18. Februar das Projekt Medea2 von Manuela Soeiro, Dominik Schnizer und Jens Peters uraufgeführt. Die Kooperation zwischen dem Stadttheater und dem Mutumbela-Gogo-Ensemble des Teatro Avenida aus Maputo greift auf Texte mosambikanischer und europäischer AutorInnen zurück. Sie sind entweder als unmittelbare Bearbeitungen oder durch motivische Gleichheit als Reprisen des Medea-Mythos zu verstehen.

Medea ist die Geliebte des griechischen Abenteurers Jason: Sie verrät ihren Vater, den König von Kolchis, für ihn und spielt ihm das Goldene Vlies, den Inbegriff des Schatzes, zu. Trotzdem und ungeachtet der Geburt ihrer gemeinsamen Kinder weigert sich Jason, sie als nicht standesgemäße Wilde zu heiraten und verstößt sie schließlich zugunsten von Glauke, der Tochter des Kreterkönigs Kreon. In der klassischen Version des Mythos rächt sich Medea, indem sie ihre Kinder, ihren Schwiegervater und Glauke ermordet.

… das damals noch Bürgerkriegsland war.

Wir haben eine große Kampagne der Frauen damit gemacht. Ich finde diese Herangehensweise sehr interessant, weil man damit auch feststellen kann, dass man ähnliche oder die gleichen Ideen hat. Wir denken gleich, aber auf unterschiedliche Weise. Das wird bei unserem Medea-Projekt hier noch stärker Thema sein. Denn wir spielen nicht einfach die klassische Tragödie. Das Projekt kombiniert alte und neue Texte und Texte europäischer und mosambikanischer Autor*innen.

Sie arbeiten mit Texten von Paulina Chiziane: Tatsächlich wirkt beispielsweise deren Roman „Liebeslied an den Wind“ wie eine direkte Adaption des Medea-Mythos …

Ja, das ist wahr. Und das Gleiche gilt auch für einige Sachen von Mia Couto. Ich glaube, das wird eine ziemlich gute Kombination. Wir haben Chiziane jetzt auf unserer gemeinsamen Reise in Maputu getroffen, weil sie für unser Projekt noch eigens neue Texte entwerfen soll.

… und mit Couto haben Sie auch schon oft zusammen gearbeitet?

Die Arbeit des Teatro Avenida hat mit ihm begonnen. Das erste, was wir gemacht haben, waren kurze Erzählungen von ihm: Ich kenne niemanden, der die Seele Mosambiks besser ausdrücken kann als ihn. Auch mit Paulina Chiziane haben wir schon mehrfach zusammengearbeitet – zu Problemen der Frauen beispielsweise. Unser Theater ist ein Theater der Intervention. Und diese Schriftsteller*innen sind uns sehr nahe.

Medea ist sehr vielseitig: Sie war die gekränkte Frau bei Corneille oder Anouilh, bei anderen ist sie der Mythos des Kolonialismus: Was sehen Sie denn in der Figur der Medea?

Es ist spannend, wie unterschiedlich und zugleich nah die Blicke auf diese Gestalt sein können: Im Vorfeld dieses Projekts haben wir uns eine brasilianische Adaption der Medea angeschaut, die komplett anders war, als unsere sein wird. Medea ist für uns Symbol für die Möglichkeit der Frauen, sich von allem, was sie einengt, zu befreien. Wir haben zum Beispiel in Mosambik ein System der Polygamie, das ein System sexueller Ausbeutung ist.

Das ist auch bei Chiziane das Thema …

Ja. Und es ist sehr schwierig zu bekämpfen – mindestens bis zur Unabhängigkeit war es einfach normal. Danach hat der Kampf gegen sexuelle Gewalt begonnen, aber er ist hart und sehr schwer zu führen in Mosambik. Es wird darüber nicht gerne gesprochen. Und es ist nötig, dass gerade die jungen Frauen verstehen, dass dieser Kampf geführt werden muss. Mit diesem Stück, mit Medea, können wir da gemeinsam etwas erreichen.

Warum ist sie dafür so geeignet?

Es ist mit ihr möglich, zu zeigen, dass der andere Kontinent, dass Europa, dasselbe gemacht hat wie wir. Jede Form des Kolonialismus speist sich aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus, genau wie die Unterwerfung.

Es ist aber doch gleichzeitig ein schrecklich pessimistischer Mythos: Oder ist es möglich, eine positive Vision aus Medea zu ziehen?

Ich glaube: Ja. Der Pessimismus des Mythos, das Schreckliche der Erzählung gibt uns doch auch die Möglichkeit, das Übel, das er benennt, zu bekämpfen. Er mobilisiert doch auch. Deswegen zeigen wir im Theater das Schlechte, über das die Menschen vermeiden würden zu sprechen. Selbst wenn die Geschichte Medeas pessimistisch ist – da haben Sie ja Recht – ist es möglich, mit ihr zu erkennen, dass es einen Ausweg gibt, eine Entwicklung.

Dabei ist szenisch die Frage, wie die Körper auf das Konzept und den Mythos reagieren: Wie lässt sich Medea tanzen?

Das ist tatsächlich kompliziert zu beschreiben: Die Antwort darauf kann aus meiner Sicht nicht vorgegeben werden. Die Akteure müssen sie im Prozess des Probens finden. Es muss uns gelingen, dass diese Geschichte, auch wenn sie 2.000 Jahre alt ist, ihre Kreativität weckt – jetzt, hier, für diesen Moment und für Europäer ebenso wie Afrikaner. Ich glaube, das wird eine ganz wunderbare Erfahrung.

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