Antisemitismus in Russlands Kirche: Fürchtet den Herrn

Die russische Kirche bedient sich antisemitischer Stereotype. Doch wer in Russland dazugehört und wer nicht, entscheidet Putin allein.

ein Mann und eine Frau in Roben

Das letzte russische Zarenpaar, Zar Nikolaus II. und seine Frau Alexandra Feodorowna Foto: dpa

MOSKAU taz | Bischof Tichon ist mehr als nur ein Würdenträger der russischen Kirche. Dem Mann mit dem weltlichen Namen Georgi Schewkunow wird nachgesagt, auch der Beichtvater von Präsident Wladimir Putin zu sein. Und dies bisher von beiden unwidersprochen. Und: Er fällt meist vor allem durch fantasiereiche Geschichtsinterpretationen auf, die etwa Byzanz und Moskau miteinander verknüpften. Seine jüngsten Auffassungen jedoch sorgen nicht nur für Wirbel – sondern auch für Ärger mit Putin.

Im Beisein der höchsten Vertreterin der russischen Strafermittlungsbehörde, Marina Molodzowa, griff Tichon auf eine alte These zurück: Demnach sei die Version ernst zu nehmen, die Zarenfamilie Romanow sei Opfer eines Ritualmords geworden. Auch die geistlichen Würdenträger würden dieser Sicht mehrheitlich beipflichten, meinte Tichon. Die Strafermittler sind zurzeit damit befasst, nach „psycho-historischen“ Motiven und Hintergründen zu forschen, sagte Molodzowa allen Ernstes.

Vermeintliche jüdische Ritualmorde sind seit dem Mittelalter ein antisemitisches Stereotyp, das meist als Vorwand für antijüdische Pogrome herhalten musste. 1913 sorgte im Zarenreich der Fall Menachem Beilis für Aufsehen: Beilis wurde eines Ritualmords an dem Kiewer Jungen Andrei Juschtschinsky beschuldigt. Die politische Instrumentalisierung durch Konservative und protofaschistische Schwarze Hundertschaften ließ sich jedoch im Laufe des Verfahrens nicht verbergen, Beilis wurde freigesprochen.

Ritualmorde werden im russischen Diskurs automatisch mit der Pogromgeschichte und dem Fall Beilis in Verbindung gebracht. Diesmal soll unterdessen kein Knabenblut getrunken worden sein; die Lage der Leichenfunde unterstreiche jedoch den Verdacht auf Ritualmorde, so der Bischof. Die Mörder, unter ihnen jüdische Bolschewiken, seien darauf bedacht gewesen, sich in der Nähe der Opfer zu präsentieren. Kurzum: Opfer als Trophäen.

Der Umgang mit den Gebeinen ist indes auch für den Klerus eine relevante Frage; die russische Kirche hatte Zar Nikolaus II. vor Jahren heilig gesprochen. Die Überreste der Toten wären demnach Reliquien – die Kirche zweifelt aber die Echtheit der Knochen an. Eine Kommission hatte diese zwar in den 1990er Jahren bestätigt, die Kirche hatte das aber nie anerkannt. Und zwar, weil sie an den Untersuchungen nicht beteiligt wurde. Mit dem Wirbel um den Ritualmord hoffte man wohl, die Gebeine noch einmal ausgraben zu können. Erst vergangene Woche widmete sich eine Konferenz mit dem Titel „Mord an der Zarenfamilie. Neue Expertisen und Materialien“ diesem Thema.

Zentralkomitee für Ideologie der KPdSU

Der Kreml signalisierte der Kirche inzwischen, sie solle es mit dem Antisemitismus nicht zu weit treiben. Die Kirche zählt zu den stärksten Parteigängern Putins. Gegen den lässt sich vieles ins Feld führen, Antisemit ist er nicht. Viele Russen mit jüdischem Hintergrund zählt er zu seinem engen Freundeskreis.Kremlsprecher Dmitri Peskow erteilte dem Ansinnen der Kirche auch umgehend eine Abfuhr: Dergleichen stehe nicht auf der Tagesordnung, sagte er lakonisch.

Gegen Putin lässt sich vieles ins Feld führen, Antisemit ist er nicht

Die Kirche wiederum will ihren Einfluss ausbauen. Immer wieder unternimmt sie den Versuch, in die Rolle des Zentralkomitees für Ideologie der KPdSU zu schlüpfen. Dafür setzt sie auf den Schulterschluss mit Hard­linern in Sicherheitsapparat und Geheimdienst, in denen der Antisemitismus zu Hause ist.usgrenzung alles vermeintlich Fremden und Nichtrussischen passt zwar auch zur Überlebensstrategie der politischen Führung im Kreml vor den Präsidentschaftswahlen; doch wer dazugehört und wer nicht, darüber bestimmt in Russland immer noch Putin.

Inzwischen hat der antisemitische Klerus wieder Kreide gefressen. Er fürchtet den Herrn – und die Klärung über die Zuordnung der Gebeine wurde auf den nächsten Sommer vertagt.

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