Verblüffter Zauberer

Roger Federer sorgt für spektakuläre Aufführungen im Tenniszirkus. Im Finale der US Open trieb der Schweizer sein Spiel mit André Agassi, der nun wieder einmal über ein Karriereende nachdenkt

AUS NEW YORK DORIS HENKEL

Er sprach von einem ganz besonderen Sieg, von einem Spiel zum Erinnern und von der vielleicht wichtigsten Partie seines Lebens. Roger Federer war stolz auf sich und seine Taten nach dem Finale der US Open gegen Andre Agassi (6:3, 2:6, 7:6, 6:1). Und wie nach jedem seiner großen Siege prasselten die Komplimente auch diesmal wie dicke Tropfen eines tropischen Schauers auf ihn nieder. Allen voran die von Agassi, der versicherte, Federer sei der Beste, gegen den er jemals gespielt habe. Aber ein mindestens ebenso schönes Kompliment machte ihm das New Yorker Publikum. Nicht schwer zu ahnen, wie viele der 23.000 an diesem Sommertag in der sentimentalen Hoffnung gekommen waren, nach so vielen Jahren und vielleicht zum Abschied einen Sieg von Agassi zu sehen.

Fast zweieinhalb Stunden feuerten sie ihren Mann an, gaben ihm jede Unterstützung und feierten seine Punkte. Aber als klar war, dass Federer gewinnen würde, belohnten sie den Besten mit herzlichem Beifall, Wohlwollen und Bewunderung. Wie soll man einem auch böse sein, der sich bei der Siegerehrung entschuldigt und sagt: „Unglücklicherweise ist es schon wieder passiert, dass ich im Finale mein bestes Tennis gespielt habe.“

Prompte Antworten

Selbst bei Agassi, der die Zeremonie mit traurigem Blick verfolgte, huschte da ein Lächeln übers Gesicht. Er dachte an die Chance, die er gehabt hatte, aber er musste sich nicht vorwerfen, er habe sie vertan. Nachdem er den zweiten Satz zur Begeisterung des Publikums mit durchdachtem, zwingendem Spiel gewonnen hatte, führte er auch im dritten 4:2. Es war die Phase, in der Federer dachte: O Mann, das läuft nicht gut. Hinterher gestand er, da sei es schwer für ihn gewesen, Agassis Dominanz zu ertragen, und er habe das Gefühl gehabt, das Spiel gleite ihm aus den Händen.

Aber aus der Bedrängnis heraus entwickelte er ein Gefühl für die besonderen Umstände, steigerte sich wie auf Bestellung, glich aus und gewann diesen entscheidenden Satz mit einem souveränen Tiebreak. „Fünf starke Minuten, und ich war wieder drin“, meinte er hinterher. Den Rest erledigte er quasi im Flug, und Agassi begriff, dass nichts mehr zu holen war. Der sagt, bei jedem anderen gebe es eine Sicherheitszone, in der man Dinge probieren und den Gegner zu Fehlern zwingen könne, nicht aber bei Federer.

„Er hat auf alles eine Antwort, und er spielt auf eine Art, die ich vorher nie gesehen habe.“ Federer vernahm es mit großem Vergnügen und erkundigte sich zur Sicherheit, ob Agassi damit wirklich auch gemeint habe, er sei besser als Pete Sampras. Als man ihm versicherte, genau so sei es gewesen, freute er sich noch mal und sagte: „Das wundert mich. Aber André hat mir schon viele schöne Komplimente gemacht.“

Wie es mit Agassi weitergehen wird, steht in den Sternen. Es glänzte feucht in seinen Augen, als er sich nach dem Spiel vom Publikum mit den Worten verabschiedete: „Danke New York für die letzten 20 Jahre. Es war eine tolle Tour.“ Es ist möglich, dass man ihn bei den US Open 2006 wiedersehen wird; er selbst sagt, das habe er zumindest vor. Aber da er noch nicht mal wisse, was in einem Monat sein werde, könne er erst recht nichts zum nächsten Jahr sagen.

Auf neuer Stufe

Federer jedenfalls hätte nichts gegen weitere denkwürdige Spiele mit Agassi, ganz im Gegenteil. Und er hat erst recht nichts gegen all die historischen Vergleiche, die er auf schönste Weise provoziert. Als Erster in der Geschichte des Profitennis hat er nun zweimal hintereinander die Titel in Wimbledon und New York gewonnen; die einzigen, die das in den 20er- und 30er-Jahren schon mal geschafft haben, waren zwei der Allergrößten: die Amerikaner Bill Tilden und Donald Budge. Mit dem sechsten Grand-Slam-Titel in etwas mehr als zwei Jahren ist Federer in der von Sampras mit 14 angeführten Liste eine Stufe gestiegen. Dass er damit die Ebene seiner einstigen Idole Boris Becker und Stefan Edberg erreicht hat, war ihm zunächst nicht bewusst. Als er es erfuhr, meinte er ohne einen Hauch von Koketterie: „Ist das nicht toll?“

Rekorde knackt er gern, und die Geschichte des Tennisspiels liegt ihm am Herzen, das sagt er bei jeder Gelegenheit. Aber noch mehr bedeutet ihm die Gegenwart. Es war sein 23. Triumph in Serie in einem Finale; die letzte Niederlage stammt aus dem Juli 2003 vom Turnier in Gstaad. Wie so etwas möglich ist? So richtig weiß er das selbst nicht. „Ich frage mich auch, warum ich bei den großen Gelegenheiten so gut spiele.“ Es liegt wohl daran, dass er nicht genug davon bekommen kann, den Leuten von seiner Kunst zu zeigen. Nichts macht ihm mehr Vergnügen, als sich selbst beim Zaubern zuzusehen.