Neurowissenschaft und Theater

JUGEND FORSCHT Der Mensch-Maschine-Hybride kommt: Am Theater Freiburg bereiten sich Jugendliche und Schauspielprofis in „Ich, Cyborg!?“ schon mal auf seinen angemessenen Empfang vor

Es mutet erst an wie ein Sujet aus einem Sciencefiction-Roman, wenn am Theater Freiburg die Frage verhandelt wird: „Ich, Cyborg!?“. Doch die Möglichkeiten der Neurowissenschaften und -technologien, den Menschen durch Gehirnmanipulation hin zu einem Mensch-Maschine-Hybriden transformieren zu können, sind zumindest in der Forschung und der medizinischen Anwendung bereits sehr viel weiter, als man es abseits der wissenschaftlichen Debatte oder eben der Fiktionalisierung in der Kunst gemeinhin wahrnimmt. Sollte es in nicht allzu ferner Zukunft also tatsächlich nicht nur Usus sein, den Körper aus den Ersatzteillagern der Schönheitschirurgie aufzurüsten, sondern auch die Gehirnleistung Gesunder durch Neurotechnologie zu optimieren – gar die Persönlichkeit zu modulieren –, hat das Auswirkungen auf das Menschenbild. Klar, dass sich daran philosophische, ethische und anthropologische Fragen knüpfen.

Mit Fragen beginnt denn auch die „theatrale Zukunftsrecherche“, die sich fünfzehn Freiburger Jugendliche, die Schauspieler Uta Krause, Nicola Schößler und Frank Albrecht, ein Musiker sowie ein Videokünstler in „Ich, Cyborg!?“ vorgenommen haben. „Hat der Cyborg noch Mensch in sich?“, will eine Schülerin wissen; andere der Gymnasiasten zwischen 16 und 19 Jahren wiederum fragen in die die Runde, ob denn Cyborgs Moral haben. Warum sie uns unheimlich sind, ob die Menschen überhaupt schon reif sind für den Fortschritt? Und, ja, ob die Seele wissenschaftlich nachweisbar sei.

Das Projekt basiert auf einem Kongress am Theater im April, bei dem das Thema „Optimierung des menschlichen Gehirns“ theoretisch beleuchtet wurde. An der Freiburger Bühne wird also nachhaltige Theaterarbeit gemacht.

Eindeutige Antworten gibt es natürlich auch in der theatralen Aufbereitung des Kongress-Wochenendes „Pimp your brain“ keine, aber der Regisseur Hans-Werner Kroesinger, der inhaltlich von dem Philosophen Oliver Müller vom Freiburger Universitätsinstitut für Ethik und Geschichte der Medizin unterstützt wird, hat einiges unternommen, um die abstrakt-philosophische Thematik anschaulich zu machen. Blumenkohlköpfe, an denen kräftig herumgeschnippelt wird, dienen als Gehirnpräparate. Mit Schreibtischen, Bürolampen, Overheadprojektoren und weißen Laborkitteln ist der Bühnenraum in eine Forschungsstätte verwandelt worden (Ausstattung: Valerie von Stillfried). Ein interaktives Video von Victor Morales projiziert Gesichter, Körper, aber auch Zeichnungen, deren Formen sich ständig verändern, auf zwei Leinwände und spiegelt somit Mutationsprozesse im Bild. Die Elektronik- und Percussionmusik von Daniel Dorsch zischelt ein wenig futuristisch-gespenstisch durch die Szene.

Die Jugendlichen greifen das Thema immer auch mal wieder in schnoddrigen Rapsongs auf („Ich bin ein Cyborg, ein ganz normaler Mensch“). Diese sind wie auch alle Texte und Dialoge vom Ensemble selbst verfasst.

Das Potenzial der Schüler liegt in ihrer Authentizität und dem Engagement, mit dem sie sich das Thema so intellektuell wie spielerisch unbekümmert zu Eigen machen. Kroesinger, der vom Dokumentartheater kommt, wagt ein paar vorsichtige Ansätze à la Volker Lösch oder Christoph Marthaler, das Ganze mit chorischen und choreografierten Sequenzen künstlerisch zu formen und zu verdichten, so in einer Gruppenszene, die auf die Borg-Episoden aus „Star Trek“ referiert. Dokumentartheater und Laienspiel geraten jedoch inszenatorisch an ihre Grenzen. Mit am eindringlichsten ist denn auch das Solo der Schauspielerin Uta Krause, die im sinnfälligen Zusammenwirken mit Video und Sound eine Parkinson-Kranke mimt.

So erlebt man keinen großen Theaterabend in Freiburg, wohl aber einen, der zur Reflexion anregt, indem er ein abstraktes, vielschichtiges Thema fassbarer und nachvollziehbar macht.

CLAUDIA GASS