Moderne
Odysee

Ludwig Lugmeiers Faktenroman über Jack Bilbo, Berliner Lebenskünstler, Maler und Autor

Von Susanne Messmer

Eine der zentralen Fragen, die sich nach der Lektüre des „Faktenromans“ über einen der originellsten und sympathischsten Berliner stellt, die diese Stadt je hervorgebracht hat, ist die: War der deutsche Schriftsteller, Maler, Galerist, Gelegenheitsarbeiter und Lebenskünstler Jack Bilbo wirklich rastlos?

Oder wäre er ein anderer geworden, wenn er 1933 nicht von den Nazis aus dem Land geprügelt worden wäre, wenn er nicht immer wieder mit den Widrigkeiten des Exils zu kämpfen gehabt hätte, wenn er nicht so oft von vorn hätte beginnen müssen, bis er schließlich zurückkam und in den 1960er Jahren am Ku’damm eine Kneipe aufmachte?

Geboren wurde Jack Bilbo 1907 als Sohn eines wohlhabenden, jüdischen Theaterausstatters in Berlin unter dem Namen Hugo Cyrill Kulp Baruch – und wäre schon damals nicht alles schief angelegt gewesen, so hätte aus ihm vielleicht ein erfolgreicher Geschäftsmann werden können. Allein: Die Ehe der Eltern war unglücklich, die Mutter floh mit dem achtjährigen Sohn nach Holland, kehrte reumütig zurück, da lebte der Vater allerdings schon mit einer anderen Frau. Die Mutter ließ sich in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen, der Sohn kam ins Internat – die Odyssee konnte beginnen.

Allein die Lebensstationen Jack Bilbos in den kommenden Jahrzehnten aufzuzählen würde diesen Text sprengen. Nur das: Mit 16 durfte er für die väterliche Firma in New York arbeiten, bis er versuchte, die Kasse zu klauen. Zurück in Berlin jobbte er bei der Ufa, lernte Hinz und Kunz im Romanischen Café kennen, war zeitweise obdachlos und reiste als Journalist nach England, strandete dort, kehrte zurück und verwandelte sein Chaos zum ersten Mal in eine Räuberpistole, eine fiktive Autobiografie, in der er sich als Leibwächter Al Capones vorstellte.

Bis hierhin liest sich Ludwig Lugmeiers Buch manchmal abstrakt, man kommt Jack Bilbo kaum nahe, offenbar hat Lugmeier nur erzählt, was wirklich belegt werden kann, und den Rest mit Zeitgeschichte gefüllt. Doch dann wird es plastischer, Jack Bilbo kommt immer mehr zu sich selbst – und man gerät zunehmend in den Bann dieser Frage: Was war Jack Bilbo eigentlich? Ein Anarchist, dem alles Absehbare auf bewundernswert kompromisslose Weise zuwider war? Oder ein Strauchelnder, der wie so viele in dieser schlimmen Zeit keinen Fuß auf den Boden bekam?

Man muss es so sagen: Bilbo hat das Schönste aus dem Wenigen gemacht, was er kriegen konnte. Er ging nach Mallorca, machte eine Bar auf, verliebte sich, bekam eine Tochter. Er kämpfte kurz im Spanischen Bürgerkrieg – und ging nach England. Doch alles, was er sich im Exil aufbaute, wurde ihm zerschlagen: Ein paradiesisches Künstlerdomizil vor den Toren Londons. Der rostige Kahn, mit dem er daraufhin durch Frankreich schipperte. Das winzige Restaurant, das er dort aufmachte.

Ende der Sechziger – er hatte es in Berlin als Autor, Maler und Kneipier endlich zu respektabler Berühmtheit gebracht – holten ihn die inneren Verletzungen, die ihm die Nazis bei der erwähnten Prügelei vor mehr als 30 Jahren zugefügt hatten, ein. Mit nur 60 Jahren starb Jack Bilbo und geriet schnell in Vergessenheit.

Ludwig Lugmeier: „Die Leben des Käpt’n Bilbo“. Verbrecher Verlag, Berlin 2017, 250 Seiten, 24 Euro Heute Lesung und Gespräch mit Ludwig Lugmeier und Daniel Richter, der Anfang des Jahres Jack Bilbos Bilder ausstellte, 20 Uhr, Fahimi, Skalitzer Str. 133