Zwischen „Grrrrässlich!“ und „Großartig“

Seit dem 2. Oktober 2017 erscheint die taz im neuen Layout und mit teilweise verändertem Konzept. Unsere Befürchtung, niemanden würde das interessieren, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil!

Von Georg Löwisch

Stell dir vor, du hast einen neuen Look, aber niemanden kümmert das. Eine grauenvolle Vorstellung, auch für uns Blattmacher, denn es ist unser Beruf, Informationen gut rüberzubringen: spannend präsentiert, angenehm zu lesen, leicht zu verstehen. Gerade diese Zeitung gab sich nie nur mit der Nachricht zufrieden, sie hat sie immer vertazt. Naked news bringt der Ticker.

69 Tage sind vergangen, seit wir der taz ein neues Outfit verpasst haben, nicht nur optisch, sondern auch konzeptionell. Schon vor dem Start am 2. Oktober hatten wir ein paar Ankündigungen dazu veröffentlicht – ein wenig besorgt, dass das Ganze niemand mitbekommt. Und dann? Ist das neue Kleid der taz jemandem aufgefallen?

Aber wie! Diese Reform hat die Leidenschaft neu geweckt, über die taz zu reden. Man wird im Haus der Bundespressekonferenz angesprochen und an der Obsttheke in der Kaufhalle. Wir haben eine enorme Zahl von Mails, Briefen und Reaktionen auf Facebook und Twitter bekommen. Allein unter neu@taz.de gingen 224 Mails ein. Wenn man sie nach dem Ampelsystem unterteilt in Rot („Grrrrässlich!“) , Grün („Großartig gelungen!“) und Gelb („. . . als ich nach drei Stunden noch mal draufsah, fand ich es gar nicht so schlecht.“), kommt heraus: 35 Prozent vernichtend-rot, 20 Prozent begeistert-grün und 45 Prozent differenziert-gelb.

Die meisten E-Mails und auch Briefe haben sich ausführlich mit den Änderungen auseinandergesetzt. Manche Leser_innen gingen die Zeitung sogar Seite für Seite durch, in beeindruckender analytischer Schärfe. Andere blafften uns an („Wie zu alte Kohlrabi: holzig, billig und steif!“) und wieder andere grüßten begeistert vom Frühstückstisch. „Richtig gut lesbare Headlines!“, „Die Überschriften verschwimmen!“ – in den ersten Tagen konnte es vorkommen, dass innerhalb von Minuten völlig gegensätzliche Bewertungen im Postfach landeten.

Das haben wir uns gewünscht. Diskussionsfreude ist schließlich das, was uns mit den taz-Leser_innen in besonderem Maße verbindet. Dass das neue Layout polarisieren würde, war uns vorher klar. Wir wollten raus aus den alten Sachen. Wir möchten die Einzigartigkeit der taz stärken. Durch etwas Neues.

Doch wie antwortet man auf die ganzen Mails? Den grün-applaudierenden dankt man glücklich. Mit den Absender_innen der gelben-differenzierten durchdenkt man die wichtigsten Punkte. Und den rot-ablehnenden – (oh ja, man leidet beim Lesen solcher Mails!) schreibt man mitunter ebenso gepfeffert zurück. Woraus sich nicht selten lange und herzliche Mailwechsel ergeben haben. Denn egal, ob Ba­shing oder Bestärkung, ob in Prosa oder Gedichtform: Aus diesen Reaktionen spricht großes Engagement. Manche der Reaktionen fließen in die tägliche Arbeit ein, denn schließlich mischen sich jeden Tag Ideen und Entscheidungen der Redaktion neu zur taz.

Ein Beispiel: Einige der Maildiskussionen drehten sich um die 17-zeiligen Kurznachrichten in den Ressorts Inland, Wirtschaft und Umwelt und Ausland. Wir wollen sie nicht mehr. Für ein paar Stichworte im Stakkato braucht es keine taz. Aber: Die kurze Form mehr oder weniger zu nutzen – mit einem Mindestmaß an Erklärung und Detail – das entscheidet das Ressort jeweils nach Lage.

Das neue Kleid zwickt noch

Auch was die Kolleg_innen sagen, hat uns interessiert. Jens Schneider schimpfte in der Süddeutschen Zeitung über ausbleibende taz-Momente auf zu flächigen Titelseiten – es folgte eine eingehende Diskussion. Ausgerechnet ein Kollege von Springer schwärmte. „Zeitungen sind etwas Wunderbares, daran erinnert die neue alte ‚taz‘ “, schrieb Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. Der Relaunch zeige, dass die Tage von Print nicht gezählt seien.

Kein neues Outfit ohne Kampagne dafür. „Print-à-porter“ hieß der Slogan unserer Marketingabteilung, um mit dem neuen Layout für Probeabos zu werben. Die Strategie: Wir begannen mit einem 10-Euro-Probeabo kurz vor der Bundestagswahl und terminierten den Start der neuen taz kurz nach der Bundestagswahl. Und tatsächlich: In derart politischen Zeiten kombinierten sich das Interesse an unseren Inhalten mit der Neugier auf die neue taz. Exakt 7.804 zahlende Testleser_innen (Stand: Donnerstagmittag) haben wir gewonnen. Und die Kampagne läuft noch.

Gewiss, uns ist das neue Kleid noch längst nicht zur zweiten Haut geworden. Es gibt ein paar Stellen, die uns noch zwicken. Die Seite eins am Wochenende bietet maximale Freiheit – und maximale Fallhöhe. Die Seite drei am Werktag könnten wir mehr variieren. Aber bei einem maßgefertigten Kleidungsstück die Nähte wieder auftrennen? Das werden wir bleiben lassen. Erst mal wird das neue Layout noch ordentlich eingetragen.

Für Georg Löwisch war es die erste Blattreform als taz-Chefredakteur.