„Wir dürfen nicht einknicken“

Der Abgeordnete Hakan Taş wurde auf offener Straße angegriffen – nicht zum ersten Mal, aber diesmal von einem Türkeistämmigen. Der Linke erlitt eine Verletzung – und lässt sich nicht einschüchtern

Hakan Taş (2. v.  r.) im März 2017 bei einer Demo gegen die Verfassungsänderung in der Türkei Foto: Florian Boillot

Interview Erik Peter

taz: Herr Taş, Sie wurden am Montag auf offener Straße in Kreuzberg attackiert. Wie kam es zu dem Angriff?

Hakan Taş: Ich war in Kreuzberg etwas essen. Als ich zu meinem Auto ging, das in der Nähe des Oranienplatzes geparkt war, stand dort auf dem Bürgersteig ein etwa 25- bis 30 Jahre alter Mann, der mich sofort auf Türkisch beleidigt hat. Er hat mich als „dreckigen Vaterlandsverräter“ und „Hurensohn“ beschimpft. Dann spürte ich einen Schlag auf meinem Kopf. Es fühlte sich an, als hätte er einen Gegenstand in der Hand. Einem zweiten Faustschlag konnte ich ausweichen. Dann ist er Richtung Kottbusser Tor weggerannt.

Waren Sie verletzt?

Ich habe geblutet, bin unter Schock aber erst mal zum Abgeordnetenhaus gefahren, wo ich eigentlich eine Sitzung hatte. Meine Kollegen haben mir dann geraten, zum Arzt zu gehen. Ich habe eine ein bis zwei Zentimeter große, drei Zentimeter tiefe Platzwunde davongetragen.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Heute geht es mir wieder besser. Der Schockzustand ist vorbei. Ich habe jedoch ein ungutes Gefühl, da ich jetzt als Prozessbeobachter nach Ankara fliege.

Was befürchten Sie?

Womöglich war das kein zufälliger Angriff, sondern ein gezielter. Meine Reise zu den Prozessen gegen die beiden Vorsitzenden der linken prokurdischen Demokratischen Partei der Völker HDP, Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, habe ich vorher anmelden müssen, und sie sind auch öffentlich bekannt. Es ist aber nur eine Vermutung, dass türkische staatliche Stellen damit etwas zu tun haben könnten.

Sie sind als Kritiker des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und dessen Politik bekannt.

Meine Haltung zur türkischen Regierung und ihrem Umgang mit Kurden und Minderheiten ist klar. Auch fliege ich nicht zum ersten Mal in die Türkei als Prozessbeobachter. Erst vor einigen Wochen war ich bei dem Prozess gegen die Oberbürgermeisterin von Diyarbakır, Gültan Kışanak.

Wurden Sie schon zuvor angegriffen?

Hakan Taş

51, sitzt seit 2011 für die Linke im Abgeordnetenhaus. Er ist sicherheits- und integrationspolitischer Sprecher der Fraktion.

Ich bin in diesem Jahr bereits zweimal verbal attackiert worden, zudem beleidigt und angespuckt. Im Wahlkampf wurden meine Plakate von türkischen Nationalisten beschädigt, mit Zeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe. In meinem Wahlkreis in Reinickendorf wurden von islamistischen Kreisen SMS an türkische Wähler verschickt mit dem Aufruf, mich nicht zu wählen. Auf Internetseiten werde ich immer wieder als Vaterlandsverräter bezeichnet. Insofern sind solche Sachen nicht neu. Es ist aber das erste Mal, dass ich von türkischer Seite körperlich attackiert und verletzt wurde.

Von anderer Seite schon?

Vor einigen Jahren hat mich ein Nazi bei einer Bärgida-Demonstration am Hauptbahnhof angegriffen. Damals wurde ich aber nicht verletzt. Meine Autoreifen sind zerstochen worden, an meiner Wohnungstür waren SS-Runen. Drei Jahre lang wurde meine Privatadresse vom Objektschutz bewacht.

Was machen diese Attacken mit Ihnen?

Wenn man seine politischen Überzeugungen öffentlich macht, steht man in der Kritik. Nichtsdestotrotz haben mich die Angriffe nicht in meiner Überzeugung geschwächt. Vor allem auf die Verhältnisse in der Türkei müssen wir immer wieder aufmerksam machen. Wir dürfen vor Erdoğans Diktatur nicht einknicken, im Gegenteil. Schließlich sitzen dort mehr als 170 Journalisten in Haft, auch Abgeordnete und Menschenrechtsaktivisten. Sie brauchen unsere Solidarität, nicht nur aus der Ferne, sondern auch vor Ort. Deswegen bin ich entschlossen, dennoch in die Türkei zu fliegen.