AUF DEM WEG ZUM BEWOHNERPARKAUSWEIS
: Stoiker braucht das Amt

von PETER KÖPF

Es war ein Strafzettel, der mich darauf aufmerksam machte, dass mein Bewohnerparkausweis abgelaufen war. Um weitere Knöllchen zu vermeiden, ging ich tags darauf – es war Anfang Oktober – zum Bezirksamt. Nicht ohne zuvor das „offizielle Hauptstadtportal“ konsultiert, den Antrag heruntergeladen und ausgefüllt sowie Kfz-Schein und Personalausweis kopiert zu haben. Mit Wartezeit rechnete ich, Zeitung und ein Buch packte ich in den Rucksack.

Im Amt in der Karl-Marx-Allee ist das Wartezimmer voll besetzt, überall geduldige und ungeduldige Menschen auf den Fluren. Neben dem Wartescheinautomat verkündet ein Schild: „Montag 08:00 bis 15:00 nur mit Wartenummer – Nummernvergabe bis längstens 13 Uhr.“ Es ist Montag, 10:30 Uhr. Weiter unten lese ich: „Bei erhöhtem Publikumsaufkommen ist mit vorheriger Schließung zu rechnen.“ Es ist erhöhtes Publikumsaufkommen. Der Automat ist darauf vorbereitet: „Wartenummernausgabe geschlossen!“ Außerdem teilt der Apparat der „sehr geehrten Kundin“ und dem „sehr geehrten Kunden“ mit, dass dienstags bis freitags nur „Kunden“ mit Termin vorgelassen werden. Das hatte mir das „offizielle Hauptstadtportal“ nicht vermittelt.

Der Stoiker am Empfang rät mir, trotzdem ins Bürgeramt zu gehen, wo ein weiterer Stoiker sitzt, Herr A. Er bedauert: Die Nummernausgabe sei „schon seit halb neun dicht“. Er reicht ein Faltblatt herüber, das „unser erweitertes Serviceangebot“ anpreist, das seit 1. August helfen soll, Wartezeiten zu vermeiden. Vorne auf dem Papier steht: „Ihre Zeit ist uns wichtig!“

Das mag demjenigen helfen, der die Webseite für die Terminvergaben findet. Das Bezirksamt Mitte ist darin allerdings nicht zu finden, jedenfalls nicht in den nächsten Wochen, und den Anwohnerparkschein gibt nur der Wohnbezirk aus.

Mir bleibt also nur der nächste Montag. Ich könne mich ja in sieben Tagen wie die anderen Terminlosen um 6 Uhr vor der verschlossenen Tür des Bezirksamts in die Schlange einreihen, damit ich nach Öffnung um 8 Uhr die Chance habe, eine Nummer zu ergattern. „Manche kommen erst um 8 Uhr und warten den ganzen Tag“, sagt Herr A.

„Also gut, bitte geben Sie mir einen Termin.“

„Der nächste freie ist am 24. Oktober“, sagt er, „zwischen 9.12 und 13.36 Uhr.“

„Bis dahin habe ich 18 Strafzettel.“

Er antwortet ganz ruhig, daran könne er nichts ändern.

Wieso der Dauerstau?

„Kein Personal“, antwortet der Stoiker und zuckt mit den Schultern. „Wenn hier Leute aus Altersgründen ausscheiden, werden die Stellen nicht mehr besetzt.“ Auch die Technik, mit der die Bediensteten arbeiten müssten, sei „Wahnsinn“; die Computer stürzten dauernd ab. Tatsächlich bittet ihn während des Gesprächs die Kollegin im Nebenraum, sie wieder freizuschalten, der Computer sei abgestürzt.

Ich frage ihn, ob alle „Kunden“ es so ruhig hinnähmen, wie dieses Amt sich um die Zeit der Bürger kümmere.

Er antwortete: „Jeder Zweite brüllt.“ Wer hier sitze, brauche ein dickes Fell. Manche drohten mit Prügeln. Dann stehe er auf: „1,90 Meter und 111 Kilo überzeugen die meisten schnell.“

Ich wähle also 9.12 Uhr und hoffe, dass meine Zeit den Organisationsgenies des Bezirksamts nicht zu wichtig ist, dass sie mich stundenlang warten lassen.

Am Abend gelingt es meiner Frau, eine Ordnungshüterin davon abzuhalten, ein weiteres Strafmandat auszustellen. Das Problem sei bekannt, sagt sie. Wir sollten eine Erklärung ins Auto legen sowie den Termincoupon. „Aber nicht das Original“, sagte sie. Die Zettel mit Vorgangsnummer und Datum seien begehrt. Im Bezirksamt zögen Vorgangsnummern-Terminzettel-Banden manchmal ein Dutzend Wartenummern und verkauften sie meistbietend.