Unterdrückte Beweise in Rocker-Affäre: Aus der Schusslinie

Schleswig-Holsteins Innenminister sägt Polizeiführung ab. Vieles spricht dafür, dass er damit Angriffsfläche reduzieren will.

Rocker-Demo im Jahr 2012 vor dem Kieler Innenministerium.

Rocker-Demo im Jahr 2012 vor dem Kieler Innenministerium Foto: dpa

HAMBURG taz | Sieben Jahre hat das Kieler Landeskriminalamt (LKA) seinen Rockerskandal vertuscht. Doch nun geht’s Schlag auf Schlag: Schleswig-Holsteins Jamaika-Koalitions-Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) löst plötzlich Landespolizeidirektor Ralf Höhs und den Leiter der Polizeiabteilung im Kieler Innenministerium, Jörg Muhlack, ab. LKA-Chef Thorsten Kramer geht „freiwillig“ in den Ruhestand.

Muhlack musste schon diese Woche seinen Schreibtisch räumen, obwohl er erst im Februar seinen neuen Job im Justizministerium antritt. Der 56-jährige Höhs geht zum Jahresende in den vorzeitigen Ruhestand und ist mit sofortiger Wirkung freigestellt, nachdem eine mögliche Abschiebung zur Bundespolizei nicht klappte.

Alle Landtagsparteien fordern die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit gerichtlichen Befugnissen – „Aufklärung“ heißt nun die öffentlich proklamierte Zauberformel. Selbst Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU), der 2010 als Innenminister Muhlack ins Ministerium geholt hatte und direkt in die Rockeraffäre involviert war, drängt auf einen „schnellen“ Untersuchungsausschuss.

Aktenmanipulationen, Strafvereitelung, Freiheitsberaubung

Immerhin geht es um Vorwürfe wie Aktenmanipulationen, Strafvereitelung, falsche Anschuldigungen, Freiheitsberaubung sowie Mobbing gegenüber rechtstreuen LKA-Ermittlern. Er wolle sich gegen Spekulationen wehren, „dass ich in irgendeiner Weise Einfluss genommen hätte auf operative polizeiliche Arbeit, um möglicherweise dadurch eine Situation herbeizuführen, um die Rockergruppierungen zu verbieten“, sagte Schlie. „Das ist vollkommener Unsinn. Ich habe da null Komma null Einfluss drauf genommen.“

Doch eine parlamentarisch-juristische Aufarbeitung des seit Monaten wabernden Polizeiskandals findet vorerst nicht statt. Denn die SPD-Fraktion, selbst in den letzten fünf Jahren mit den Ministern Andreas Breitner und Stefan Studt für die Polizei verantwortlich, möchte erst im Februar die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beschließen. Daher wird die Absetzung der Polizeiführer, die Innenminister Grote offiziell mit Differenzen um die zukünftige Ausrichtung der Polizei als „Bürgerpolizei“ begründet und dafür massive Irritationen in der Führungsebene der Polizei und den Gewerkschaften in Kauf nimmt, von BeobachterInnen eher als eine taktische Maßnahme gewertet. Er wolle die Affäre runterkochen und Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen.

Der ehemalige Landtagsabgeordnete der Piraten-Partei, Patrick Breyer, der den Skandal im Mai dieses Jahres ans Tageslicht brachte, befürchtet, dass die damaligen Ereignisse in einer konzertierten Aktion „an der Öffentlichkeit vorbei gemanagt“ werden sollen. „Dem Innenausschuss des Landtags liegen schon jetzt viele Akten vor, es sagt aber niemand, was da drin steht“, kritisiert Breyer.

Eskalation im Rocker-Krieg

Auslöser der Affäre war ein Überfall der Rockerclique Bandidos am 14. Januar 2010 auf drei verfeindete Red Devils im Neumünsteraner Schnellrestaurant Subway, bei dem ein Red Devil durch Messerstiche und Keulen lebensgefährlich verletzt worden war. Die Bandidos hatten das Auftauchen der Devils als Angriff auf ihr „Territorium“ gewertet, da die Devils als Partner der verfeindeten Hells Angels galten.

Das LKA Kiel hatte damals längst ein Rockerdezernat eingerichtet, um dem bundesweit laufenden Rockerkrieg zwischen Bandidos, Hells Angels und Mongols & Co. zu begegnen.

Für den Subway-Überfall war eigens eine Sonderkommission (Soko) „Rocker“ mit LKA-Beamten aus mehreren norddeutschen Ländern eingerichtet worden. Am 27. April 2010 verbuchte sie einen ersten Fahndungserfolg: Mehrere Bandidos, darunter der Vizepräsident der Bandidos im Norden und mehrfach vorbestrafte Neonazi Peter Borchert, wurden als Tatverdächtige festgenommen. Zwei Tage später verbot Innenminister Schlie das „Probationary Chapter Neumünster“ der Bandidos und die Hells Angels in Kiel.

Im Juni 2010 berichtete ein V-Mann-Führer des Rocker-Dezernats im LKA zwei Beamten der Soko Rocker, ein Informant aus den Reihen der Bandidos habe ihm erzählt, zwei der Verdächtigen seien zur Tatzeit nicht am Tatort oder nicht in die Messerstecherei verwickelt gewesen.

Diese Informationen flossen auf Betreiben des V-Mann-Führers aber nicht in die Ermittlungsakte ein, weil er dem Spitzel Vertraulichkeit versprochen habe. Die Soko-Ermittler protestierten gegen dieses Vorgehen, da dem Informanten Vertraulichkeit nicht förmlich zugesichert worden war und eben jener V-Mann – laut Kieler Nachrichten der Bandidos-Präsident – selbst als Tatbeteiligter geführt wurde. Der entlastende Vermerk wurde auf Weisung des Soko-Leiters Mathias E. und des LKA-Vizechefs Ralf Höhs dennoch nicht zur Akte genommen. Der Informantenschutz habe Vorrang.

Sachbearbeitung entzogen

Einen Monat später hat einer der Ermittler dem zuständigen Staatsanwalt dann doch einen Vermerk mit den entlastenden Angaben übergeben. Am nächsten Tag wurde ihm die Sachbearbeitung entzogen . Er wurde wenig später versetzt. Tage später legte der V-Mann-Führer der Ermittlungsakte einen eigenen Vermerk bei. Als der zweite Ermittler eine Reihe von Fehlern in dieser Version korrigieren wollte, sei ihm das untersagt worden, worauf auch er die Sachbearbeitung niederlegte.

Um zu verhindern, dass die Ermittler im Prozess im Dezember 2010 die entlastende Aussage vor Gericht offenlegen, hatten sie vom LKA keine Aussagegenehmigung bekommen. Als das Gericht nachfragte, versah das Innenministerium „die in der Verfahrensakte ano­nyme Quelle“ mit einer Sperrerklärung.

Im Mai 2011 erstatten die beiden Soko-Ermittler über den Kieler Rechtsanwalt Michael Gubitz Strafanzeige und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihre Vorgesetzten – wegen Unterdrückung einer entlastenden Aussage. Gubitz informierte auch Innenminister Schlie, der offenbar nicht reagierte. Die Polizeiführung leitete zwar ein Ermittlungsverfahren durch die Kieler Staatsanwaltschaft ein und ließ disziplinarrechtliche Verfehlungen durch das LKA Mecklenburg-Vorpommern überprüfen, die Ermittlungen verliefen aber im Sande, wie auch eine Klage der beiden LKA-Soko-Ermittler wegen Mobbings und auf Schadenersatz wegen ausgebliebener Beförderungen. Ein Bericht des Mobbing-Ausschusses der Polizei blieb geheim, Muhlack löste den Ausschuss danach auf.

„Klima der Angst“

Überhaupt habe in jener Zeit ein „Klima der Angst“ geherrscht, berichten später Soko-Ermittler, weil Höhs, damals LKA-Vizepräsident und für das Rockerdezernat zuständig, Verrat gewittert habe. „Wir sind in der Zeit, in der wir mit Höhs zusammenarbeiten mussten, alle schon schizophren geworden“, berichtete ein ehemaliges Soko-Mitglied. „Niemand konnte mehr sicher sein, dass nicht nachts die Haustür aufgebrochen wird, weil Höhs der Meinung ist, man sei ein Maulwurf.“ Telefone von Soko-Ermittlern seien angezapft, Fahrzeuge mit Peilsendern ausspioniert worden.

Eine Methode, die offenbar auch noch in diesem Jahr Anwendung gefunden hat. Die Kieler Nachrichten berichteten im Sommer, dass Informanten in der Rocker-Affäre und Journalisten überwacht worden seien

Nach einer neuen Strafanzeige in diesem Sommer bei der Generalstaatsanwalt Schleswig ist die Rocker-Affäre nun Gegenstand neuer Ermittlungen – diesmal durch die Staatsanwaltschaft Lübeck, um jeglichem Verdacht der Befangenheit vorzubeugen.

Pirat Patrick Breyer begrüßt, dass auch die Politik reagiert und jahrelange Seilschaften zerschlägt. „Die Vorwürfe sind so schwerwiegend, dass reagiert werden musste“, sagt Breyer. SPD-Innenminister Stefan Studt hatte das im Juni dieses Jahres noch für nicht notwendig angesehen. Eines müsse allerdings klar sein, so Breyer: „Der personelle Neuanfang ist kein Ersatz für die Aufklärung der Vorwürfe gegen das Landeskriminalamt und die Offenlegung der geheim gehaltenen Dossiers darüber.“

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