berliner szenen
: Die Sprache des Bestecks lernen

Ich sitze im Restaurant. Ganz langsam ess ich, trink zwischendurch Tee, ganz faul, leg Messer ab, Gabel ab, lehn mich im Stuhl zurück, kippele ein bisschen, greif noch mal nach dem Tee, aber immer noch nicht wieder nach dem Besteck.

Dafür greift der Kellner. Plötzlich steht er neben mir, streckt die Hand nach meinem Teller aus. „Fertig?“, fragt er, und auf einmal kann ich gar nicht mehr faul sein: Ich muss mich vorbeugen, den Stuhl zurück an den Tisch kippeln, mich mit ihm, und dabei ebenfalls greifen, nur schneller als er, dabei „Nein!“ sagen, „Nicht!“ Ganz schön anstrengend ist das.

Der Kellner tritt zurück, schaut mich an, irgendwie strafend. Und dann greift er plötzlich noch mal, nicht nach dem Essen, aber doch nach meinem Besteck, verschiebt es, arrangiert neu, mit mehr Platz dazwischen: Gabel zum unteren Rand des Tellers, Messer zum oberen. Und dann dreht er sich um und geht.

Ich schau ihm nach, verblüfft, und’ne ganze Weile lang rühr ich mein Besteck nicht an. Dass er das einfach so rumbewegt hat, find ich blöd. Voll blöd eigentlich, und jetzt will ich strafend gucken. Nur meidet der Kellner meinen Blick. Ich glaub, es ist ihm peinlich, sein spontanes, strafend-belehrendes Greifen.

Richtig so, denk ich, sollte es auch! Und dann denk ich, ob es mir peinlich sein sollte, nicht zu wissen, wie ich Besteck abzulegen hab, um zu signalisieren „Kann weg“ oder eben „Nee, ich brauch noch’ne Weile“. Aber es ist mir nicht peinlich; nur anstrengend ist es auf einmal, hier weiter zu essen, so wie ich Gabel und Messer jetzt hüte, beides auch beim Teetrinken lieber in der Hand behalte, beim Zurücklehnen, beim Kippeln, bei allem. Vielleicht sollte ich doch mal Bestecksprache lernen? Vielleicht. Aber dann doch eher aus einem Buch oder so statt von’nem spontan strafenden Kellner, find ich. Joey Juschka