geht’s noch?
: Kaeser macht Sachsen dicht

Bei Siemens sollen die Beschäftigten die Zeche für ein unfähiges Management zahlen. Insbesondere Ostdeutschland ist von den geplanten Schließungen betroffen

Siemens, vor 170 Jahren in Berlin gegründet und nach dem Krieg nach München geflohen, verstand sich lange Zeit als gesamtdeutscher Konzern, in dem es heißt: „Mensch vor Marge.“ Darüber können die Siemensianer heute nur noch höhnisch lachen. Trotz satter Gewinne des Industriekonzerns plant der hochbezahlte Vorstand jetzt einen Kahlschlag, der seinesgleichen sucht. Besonders betroffen ist Ostdeutschland, und hier vor allem Sachsen. Gleich zwei Standorte, nämlich Görlitz und Leipzig, will Siemens dichtmachen. Hunderte Beschäftigte verlieren ihre Jobs, Tausende Menschen sind als Familienangehörige oder MitarbeiterInnen in Zulieferer- oder Dienstleistungsfirmen betroffen.

Insbesondere für Görlitz ist diese Entscheidung eine Katastrophe. In der strukturschwachen Neißeregion an der polnischen Grenze war Siemens bislang eine Art industrielle Kathedrale – Schluss, aus, vorbei. Die Rendite des Weltkonzerns geht vor. Dass die Görlitzer und Görlitzerinnen darüber jetzt wütend sind, ist allzu verständlich. An zwei Fingern lässt sich ausrechnen, dass die AfD nun versuchen wird, diese Wut für sich zu instrumentalisieren.

Nach der Bundestagswahl hatte Siemens-Chef Joe Kaeser davon gesprochen, der Wahlerfolg der AfD sei auch „eine Niederlage der Eliten in Deutschland“. Man müsse Menschen, die sich zurückgesetzt fühlten, eine Perspektive geben. Hehre Worte. Aber die Taten? Die Perspektive, die Kaeser denjenigen bietet, die jahrelang Profite erwirtschafteten, ist jetzt nur noch: ein Arschtritt.

Ja, Siemens’weltweites Geschäft mit Gasturbinen und großen Elektromotoren für die Industrie ist schwierig, weil die Konkurrenz nicht geschlafen und Kapazitäten aufgebaut hat. Nun gibt es Überangebot und Preisverfall.

Aber die Schwierigkeiten – vom Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien verschärft – sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sie waren absehbar. Der Siemens-Vorstand hätte längst, gemeinsam mit den Betriebsräten, nach Alternativen Ausschau halten müssen. Ohne Investitionen zu scheuen.

Wie Investitionen – auch im Inland – gehen, zeigt ein anderer deutscher Konzern, der in letzter Zeit zu Recht viel Kritik einstecken musste: Volkswagen. Die Wolfsburger wollen in den nächsten fünf Jahren 34 Milliarden Euro in Elektromobilität und Digitalisierung investieren. Ein Teil davon wird ins sächsische Zwickau fließen, wo die Serienproduktion von E-Autos starten soll.

Fazit der Woche: VW hui, Siemens pfui! Richard Rother