Im Ausland lässt sich’s gut studieren …

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Nichts wie weg Nie war das Studieren im Ausland beliebter. 137.300 deutsche Studierende waren 2014 dauerhaft oder für mindestens ein Semester an einer Uni außerhalb Deutschlands eingeschrieben. Einen entscheidenden Anteil daran hat Erasmus. Über das Austauschprogramm gingen 2015 39.719 Studierende an ausländische Unis. Die beliebtesten Gastländer sind Österreich, die Niederlande, Großbritannien und die Schweiz. Wer nur kurz ins Ausland springt, bevorzugt Großbritannien, Frankreich, die USA, Spanien oder Italien.

Und darüber schreiben Ihr habt im Ausland studiert und euch ist etwas aufgefallen, was dort besser läuft? Seien es anonyme Klausuren wie in Großbritannien, die Diskriminierung verhindern sollen, sei es die vorgeschriebene Interdisziplinarität wie an der Uni Sankt Petersburg, die auch deutschen Studis gut täte, oder mehr Engagement aufseiten der Unis für soziale Gerechtigkeit wie in Kanada: Schreibt uns, was deutsche Unis vom Ausland lernen können.

Post an auslandssemester@taz.de

Kanada: Uniwahl nach sozialer Gerechtigkeit

Noch bevor die Vorstellungsrunde beginnt, stellt Camryn klar, auf wessen Boden das heutige Treffen stattfindet: auf nach wie vor besetztem Territorium der indigenen Bevölkerung Kanadas. Danach sagen alle reihum ihre Namen, bevorzugte Pronomen und besondere Bedürfnisse oder Einschränkungen. Camryn selbst will mit dem genderneutralen Pronomen „they“ angesprochen werden, das sich auf Deutsch mit „sier“ übersetzen ließe. Die neue Unterstützungsgruppe für queere und Trans*-Studierende anzuleiten ist einer sierer zwei Jobs an der Ryerson University.

Engagierte Menschen gibt es auch an deutschen Unis. Sofern sie im AStA sitzen, werden auch sie für ihr Engagement bezahlt. Dass der Ruf einer Uni aber daran hängt, wie inklusiv und gleichberechtigt es dort zugeht, ist in Deutschland kaum ein Thema. Und das macht einen Unterschied im Uni-Alltag. In Toronto, einer Stadt, in der die Hälfte der Bevölkerung nicht in Kanada geboren ist und 47 Prozent einer „sichtbaren Minderheit“ angehören, gilt Vielfalt an allen Unis als Aushängeschild. Auf ihrer Website wirbt Ryerson damit, sich für Diversität einzusetzen. Das Promo-Video zeigt eine Reihe erfolgreicher junger Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Geschlechter, in dem weiße Männer vor allem durch Abwesenheit glänzen. In den Selbstbeschreibungen deutscher Unis kommt oft das Wort „Exzellenz“ vor, „Vielfalt“ hingegen kaum. Camryn hat sich für Ryerson entschieden, weil sier gelesen hatte, dass die Uni zu den sozial gerechtesten Kanadas gehört.

Dafür müssen die Unis mehr anbieten als einen einzelnen „Frauenbeauftragten“, die man von deutschen Unis kennt. An der Ryerson University kann man „Gerechtigkeits- und Diversitätsstudien“ studieren. Die Uni unterhält ein Diversitätsinstitut und ein Büro für „Gerechtigkeit, Diversität und Inklusion“. Das führt Studien zu institutioneller Diskriminierung an der Uni durch, bietet Workshops und Fortbildungen an und unterstützt die einzelnen Fakultäten darin, Inklusion auf allen Ebenen zu praktizieren. Unzählige Studierendenorganisationen erhalten für ihr politisches und kulturelles Engagement finanzielle Unterstützung, so zum Beispiel die Verbände indigener, schwarzer oder muslimischer Studierender.

Die LGBTIQ*-Gruppe, die Camryn leitet, ist Teil eines Mentoringprogramms. Das Programm bietet zum Beispiel Unterstützungsgruppen für Frauen in Mathe, Technik und Naturwissenschaften an sowie für ältere Studierende, Studierende mit Behinderung und Studierende der ersten Generation. Die Studijobs im Programm sind für Studierende mit geringen finanziellen Mitteln reserviert. Diskriminierung gibt es auch an der Ryerson University. Camryn hat für siere Arbeit auf dem Campus schon Morddrohungen erhalten. Dennoch: Das Thema ist weit oben auf der Agenda, und das macht sich bemerkbar. Camryn ist der Meinung: Würde die Uni sier nicht dafür bezahlen, wäre sier kaum in der Lage, sich so viel für queere und Trans*menschen einzusetzen.

In Deutschland hängt nicht nur der Zugang zur Uni immer noch stark von der sozialen Herkunft ab, sondern auch der Studienverlauf. Bei Studierenden mit Migrationshintergrund etwa ist er weniger geradlinig. Das könnte sich ändern, wenn wie in Kanada mehr Wert darauf gelegt würde, dass sich alle gesellschaftlich marginalisierten Gruppen an der Uni willkommen fühlen.

Lou Zucker, 26, studierte ein Semester an der York University in Toronto

Russland: Universales Bildungsideal

Ziemlich genau erinnere ich mich an meinen ersten Tag an der russischen Universität, an dem ich meinen Stundenplan zusammenstellen sollte. Skeptisch erkundigte ich mich lieber zweimal, ob meine Kursauswahl wirklich keinerlei Beschränkungen unterliege. Nein, so lautete die Antwort. Selbstverständlich könne ich alle Kurse wählen, die mich interessierten, ich sei vollkommen frei in ihrer Zusammenstellung.

Diese Unkompliziertheit überraschte mich – als zukünftiger Austauschstudent wird man schließlich nicht umsonst vor der trägen Bürokratiemaschinerie gewarnt, die einem nicht nur an Russlands Universitäten, sondern an jeder Ecke des öffentlichen Lebens begegnen würde. Ob Kunstgeschichte oder Literaturwissenschaft, ob Kinostudien, Philosophie oder diverse naturwissenschaftliche Kurse – am Petersburger Smolny-Institut eröffnete sich mir eine nahezu endlose Vielfalt an Wahlmöglichkeiten.

Wo mir an meinem Berliner Institut für Slawistik ein idealer Studienverlauf mit wenig Flexibilität und monodisziplinär zu erfüllenden Modulen vorgesetzt ist, steht am Smolny-Institut die Unbedingtheit der interdisziplinären Fächerwahl. Jeder reguläre Studierende absolviert hier ein Orientierungsjahr. Wer sich danach für ein spezialisierendes Bachelor- oder Masterprogramm entscheidet, merkt: Dort geht das ganzheitliche Studienkonzept weiter.

In dem Literaturseminar, das ich besuchte, waren Studenten der verschiedensten Profile versammelt – was die Diskussionen bereicherte. Mein gewöhnlich von wissenschaftlich-theoretischen Kursen dominierter Wochenplan wurde durch einige Theorie und künstlerische Praxis vereinende Angebote erweitert: So wurde im Fotoseminar die philosophische Lektüre mit schöpferischen Aufgaben zu einem nahezu idealen Arbeitsverhältnis fusioniert.

Die Faculty of Liberal Arts and Science der Staatlichen Universität St. Petersburg (SPBGU) ist die erste Bildungsinstitution in Russland, die Geistes- und Naturwissenschaften unter einem Dach vereint. Für liberale Institute im Land hat ihr Lehrangebot Vorbildcharakter – und auch deutsche Universitäten täten gut daran, sich verstärkt an ihrem ganzheitlichen Lehrmodell zu orientieren. Denn das interdisziplinäre, universale Studium gehört auch hierzulande längst nicht zum Standardangebot öffentlicher Hochschulen. Das aber würde ihnen guttun – und den Studierenden, die sich immer stärker spezialisieren.

Seit der Bologna-Reform ist die Zahl der Studiengänge auf 18.000 angewachsenen, angepasst an die Forderungen des internationalen Arbeitsmarkts. Vor zehn Jahren waren es noch 11.000. Was zunächst fortschrittlich anmutet, täuscht über die erschreckende Einseitigkeit vieler neuer Nischenfächer hinweg. Studiengänge wie der Master of Rescue Engineering oder der Bachelor of Medical Management sind nicht nur höchst spezialisiert – sie setzen auch der späteren Berufswahl Grenzen.

Deutsche Hochschulen sollten sich auf das antike Bildungsideal besinnen: das universale Studium der freien Künste und Wissenschaften. Und das am besten in jedem Studiengang.

Elisabeth Bauer, 23, studierte zwei Semester am Smolny-Institut in Sankt Petersburg

Großbritannien: Anonyme Prüfungen

Ich wunderte mich, als ich bei der Besprechung meines ersten Essays an der University of Exeter von meinem Dozenten nach meiner Matrikelnummer gefragt wurde. Wieso wollte er diese wissen, wo doch mein Name auf dem Titelblatt stand? Erst nachdem ich den Raum verließ, begriff ich, wieso. „Das sollte eigentlich anonym sein“, stand auf dem korrigierten Essay. Anonyme Seminararbeiten? Davon hatte ich in Deutschland noch nie gehört.

Seit 1999 setzt sich die nationale Gewerkschaft der Studierenden (NUS) unter dem Motto „Bewertet meine Wörter, nicht meinen Namen“ für anonymisierte Prüfungsbewertungen an den britischen Universitäten ein. Der Hauptgrund dafür ist die im Durchschnitt schlechtere Bewertung von Angehörigen ethnischer Minderheiten, Frauen sowie schwulen, lesbischen und transsexuellen Studierenden.

Zwar gibt es in Großbritannien kein Gesetz, das die Anonymität vorschreibt, doch hat sich eine große Mehrheit der Hochschulen seit dem Beginn der NUS-Kampagne zu einer solchen Praxis verpflichtet. Wurden zuerst Prüfungen auf anonymer Basis abgelegt, weiteten die Universitäten die Selbstverpflichtung seit 2007 auch auf Seminararbeiten aus. An der University of Exeter heißt es etwa in den Bewertungsrichtlinien für das aktuelle akademische Jahr: „Alle studentischen Arbeiten sollten anonym sein.“

Selbstverständlich gibt es in Großbritannien auch Kritik an der Anonymität. Lehrende beklagten etwa ein niedrigeres Niveau der Seminararbeiten aufgrund des fehlenden intensiven Austauschs. Doch verkennt diese Beschwerde die Tatsache, dass etwa in Fällen von Abschlussarbeiten, wo ebenjener regelmäßige Austausch nötig ist, die Arbeiten auch nicht anonym verfasst werden.

Dass im Vereinigten Königreichs der Kampf für mehr Chancengleichheit kein Selbstläufer ist, zeigt sich auch an der Tatsache, dass die Unis wenig Interesse an weiteren verbindliche Regelungen zum Diskriminierungsschutz zeigen. Als die Regierung des früheren Premierministers David Cameron im Herbst 2015 eine Initiative startete, um auch Uni-Bewerbungen von 2017 an zu anonymisieren, schlossen sich lediglich vier britische Hochschulen dem Pilotprojekt an. Wieder wurde begründet: Die Anonymität verhindere den Aufbau persönlicher Bindungen zu den Studierenden. Genau aus diesem Grund würden ja die Namen der BewerberInnen auf den Motivationsschreiben vermerkt. Außerdem seien die Kosten für die Umstellung der Zulassungs-Software zu hoch.

Wieso ist Anonymisierung von Prüfungen und Seminararbeiten in Deutschland kein Thema? Sicherlich ist hier die unterschiedliche Migrationsgeschichte der beiden Länder ein wesentlicher Faktor. Die größere ethnische Heterogenität im Vereinigten Königreich infolge des Zusammenbruchs als Kolonialmacht macht Gleichstellungsfragen anscheinend drängender als in der Bundesrepublik. Doch ist abzusehen, dass mit der wachsenden Zahl an jungen Geflüchteten diese Frage auch ihren Weg an deutsche Universitäten finden wird – sie sollte es jedenfalls.

Gil Shohat, 29, studierte ein Semester an der University of Exeter