Fanny-Hensel-Ausstellung in Leipzig: Eine Etage für die Schwester

Die lange übersehene Komponistin Fanny Hensel bekommt eine Ausstellung im Mendelssohn-Haus in Leipzig. „Das Jahr“ dient als Leitfaden.

Ein Druck der Zeichnung des "Freundeskreises" von Wilhelm Hensel

Das Rad: Eine berühmte Zeichnung der Mendelssohn-Geschwister und ihres engsten Freundeskreises Foto: dpa

Schon im 19. Jahrhundert war es zu Messezeiten in Leipzig schlecht um Unterkunft bestellt. Als Felix Mendelssohn im Jahr 1845 wieder in die Stadt zog, schrieb er an einen Freund: „[Ich] hatte zuvörderst die Sorge um eine gute Wohnung (da es hier keine mö­blierte gibt und man in der Messe in keinem Wirtshause hier bleiben kann). Die Wohnung fand ich zum Glück (hier in der Königstraße Nr. 3, vor der Stadt, nahe der Promenade, mit Garten etc.).“

Heute lautet die Adresse Goldschmidtstraße 12, doch das Haus ist noch dasselbe – das letzte, das stehen geblieben ist von jenem damals im klassizistischen Stil neu erbauten Viertel. Was Mendelssohn noch mit „vor der Stadt“ bezeichnen konnte, ist jetzt beste Innenstadtlage in bequemer fußläufiger Entfernung zum Bahnhof.

Damals hatten Felix und seine Frau Cécile sicherlich gehofft, gemeinsam mit ihren vier, bald fünf Kindern endlich etwas mehr zur Ruhe zu kommen. Mendelssohns Berufsleben war sehr bewegt, fordernd und auch nicht frei von Rückschlägen; denn obwohl ein europaweit gefeierter Superstar der Musik, war er doch im Jahr zuvor zum wiederholten Mal bei dem Versuch gescheitert, in Berlin beruflich Fuß zu fassen.

Die preußische Hauptstadt, in der Felix aufgewachsen war, wo seine Familie wohnte und in der er als sehr junger Mann die spektakuläre Wiederentdeckung und Wiederaufführung der Bach’schen Mätthauspassion durchgesetzt hatte, wollte ihn nicht.

Unschicklich erfolgreich

Deshalb steht sein Museum ganz zu Recht in Leipzig. In der Wohnung in der einstigen Königstraße 3 wohnte Mendelssohn die letzten zwei Jahre seines Lebens und verstarb auch dort – am 4. 11. 1847 im Alter von 38 Jahren. Am Ende des Flurs, wo sich einst der Alkoven befand, in dem der Musiker einem Schlaganfall erlag, steht heute eine Vitrine mit seiner Totenmaske. Auch eine Locke seines Haars ist dort zu sehen – eine von jenen, die Cécile nach dem Tod ihres Mannes als Andenken an beileidbezeugende Freunde verteilen ließ.

Die Wohnung der Mendelssohns umfasste den ganzen ersten Stock des Hauses und ist seit den neunziger Jahren mit viel Liebe zum Detail in eine dem ursprünglichen Zustand sehr ähnliche Form gebracht ­worden. Ein Museumsbereich mit multimedial-musikalischem Angebot im Erdgeschoss kam vor wenigen Jahren hinzu. Und jetzt, nach genau zwei Jahrzehnten, ist, wie Museumsleiter Jürgen Ernst bei der Pressekonferenz stolz verkündet, das Museum endlich „fertig“.

Pünktlich zu Felix Mendelssohns 170. Todestag konnten zwei neue und damit die letzten Ausstellungsbereiche eröffnet werden: Die zweite Etage des Hauses ist nun zum überwiegenden Teil der Komponistin Fanny Hensel gewidmet, Felix’„gleichbegabter“ (wie ­Goethe schrieb) älterer Schwester, die jedoch, da weiblich geboren (und zwar genau am 14. November vor 212 Jahren), nicht Musikerin werden durfte, weil es für Frauen ihres Standes als unschicklich galt, einen Beruf auszuüben oder öffentlich aufzutreten.

Suche nach Anerkennung des Bruders

Fanny war eine hervorragende Pianistin, komponierte viel und konzertierte im halb privaten Rahmen im großen Saal des Mendelssohn’schen Hauses in Berlin, der angeblich bis zu dreihundert Personen fassen konnte. In Leipzig war sie nur sehr selten, und in Felix’letzter Wohnung im heutigen Mendelssohn-Haus überhaupt nur einmal, sagt Jürgen Ernst. Aber, so fügt er hinzu, Felix’Geschichte sei ohne Fanny eben nicht vollständig erzählt.

Die lange Zeit so symbiotische Beziehung der hochbegabten Geschwister, die gemeinsam Klavier- und Kompositionsunterricht erhielten und als Kinder in stetem Wettstreit lagen, blieb auch im Erwachsenenalter trotz der räumlichen Entfernungen (da der Bruder irgendwann hinausgeschickt wurde in die Welt, während die Schwester zu Hause bleiben musste) lebendig.

Wie sehr Fanny daran gelegen war, bei Felix Anerkennung für ihre Arbeiten zu finden, lässt sich unter anderem in den Briefen und Tagebuchauszügen nachlesen, die als eine Art Papierwolke in einem der Ausstellungsräume vor der Wand schweben. Auch als sie mit über vierzig Jahren – nach dem Tod des strengen Vaters – den Mut fasste, ein paar Kompositionen unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen, tat sie dies nicht, ohne vorher Felix’ Erlaubnis einzuholen.

Nur eine Zierde

Am 14. 8. 1846 notierte sie in ihr Tagebuch: „Endlich hat mir Felix geschrieben, und mir auf sehr liebenswürdige Weise seinen Handwerkssegen ertheilt, weiß ich auch, daß es ihm eigentlich im Herzen nicht recht ist, so freut es mich doch, daß er endlich mir ein freundliches Wort darüber gegönnt …“.

Felix’Geschichte ist ohne Fanny nicht vollständig

An derselben Wand ist auch der oft zitierte Brief des Abraham Mendelssohn Bartholdy aus dem Jahr 1820 an seine 15-jährige Tochter zu lesen, in welchem er sie ermahnt, nicht ehrgeizig für sich selbst zu sein – „nur das Weibliche ziert die Frauen“ –, sondern sich an den Erfolgen des Bruders zu freuen, denn: „Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, niemals Grundbass Deines Seins und Thuns werden kann …“.

Dennoch muss man sich Fanny wohl als einen glücklichen Menschen vorstellen. Sie hatte eine hervorragende musikalische Ausbildung genossen – die ihr ohne den begabten kleinen Bruder nicht in demselben Umfang zuteil geworden wäre –, lebte frei von materiellen Sorgen und fand mit dem Maler Wilhelm Hensel einen Mann, der sie als Künstlerin achtete und unterstützte.

Ihm widmete sie den Klavierzyklus „Das Jahr“, ein Konvolut von zwölf Charakterstücken, von denen jedes als Titel einen Monatsnamen trägt. Gleichzeitig sind damit jene zwölf Jahre gemeint, die Fanny und Wilhelm schon als Eheleute miteinander verbracht hatten – von 1829 bis 1841. Hensel seinerseits versah jedes der zwölf Titelblätter mit einer kunstvoll gearbeiteten Vignette.

Reproduktionen dieser Blätter begrüßen die Besucher des Mendelssohn-Hauses jetzt beim Betreten des Fanny-Stockwerks, denn „Das Jahr“ mit seinen vier Jahreszeiten dient als thematischer Leitfaden für die Ausstellung. Jürgen Ernst nennt die Darstellungsform, die man dafür gewählt hat, eine „sphärische“. Diese Fanny-Sphäre bildet sowohl Kontrast als auch Ergänzung zum ersten Stockwerk, in dem das Felix-Leben mit allen Mitteln der gewissenhaften Rekonstruktion nachgestellt ist. Für das Leben seiner Schwester – das sich ja ohnehin in Berlin abspielte – wäre das nicht möglich gewesen.

Genuss auf der Récamiere

Befreit von der Notwendigkeit, einen Bezug zum Ort herzustellen, bietet de Fanny-Etage eine Fülle von multimedial spielerischen Zugängen zum Schaffen der Komponistin und zum einstigen Gesellschaftsleben. Licht durchflutet die Räume, gespeist aus zahlreichen Quellen, die das Tageslicht ergänzen. Ein wandgroßes Leuchtbild in einem Zimmer simuliert Konzertsaalatmosphäre; Texte und andere Dokumente, die man zum genaueren Studium aus Vitrinen ziehen kann, sind sämtlich von hinten illuminiert, ebenso das interaktiv drehbare „Rad“, eine berühmte Zeichnung von Wilhelm Hensel, auf der er die Mendelssohn-Geschwister und ihren engsten Freundeskreis verewigt hat.

„Und wo ist Fanny?“, ­Mendelssohn-Haus, Leipzig

Ein animierter Film erzählt die Geschichte der „Sonntagsmusiken“ im Hause Mendelssohn, die Fanny nach Felix’ Weggang aus Berlin allein stemmte. Ein Ständer mit Biedermeierkleidung (auch in Kindergrößen) steht bereit, in der man Teil eines tableau vivant werden und sich fotografieren lassen kann. Récamieren in allen Räumen laden dazu ein, sich niederzulassen und über Kopfhörer Fanny Hensels Musik zu hören. Es ist die gastfreundlichste Form von Museum, die man sich vorstellen kann.

Und weil all das niemals möglich geworden wäre ohne einen anderen berühmten Bürger der Stadt Leipzig, ist gleich neben der Fanny-Sphäre ein weiterer neuer Museumsbereich eingerichtet worden, der dem 2015 verstorbenen Kurt Masur gewidmet ist. Masur, als langjähriger Leiter des Gewandhaus-Orchesters ein Amtsnachfolger Felix Mendelssohns, hatte sich bereits Jahre vor der Wende für die Einrichtung eines Mendelssohn-Museums eingesetzt.

Er gründete die Internationale Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, die das Museum heute trägt und weltweit tätig ist – sehr aktiv unter anderem in Japan, dem Herkunftsland von Kurt Masurs Witwe Tomoko Masur. Die Familie hat dem Institut viele Originaldokumente aus dem Besitz des Dirigenten überlassen. Unter anderem besteht nun die Möglichkeit, vor Ort in Leipzig Originalpartituren Kurt Masurs einzusehen und die Eintragungen des Maestros zu studieren.

Übrigens lohnt es, sich vor Verlassen des Museums mit einer Tasse Kaffee zu stärken und zum Abschluss einen Abstecher in den Garten zu machen, wo in einem Seitengebäude derzeit noch – als Teilübernahme einer Ausstellung des Bachhauses in Eisenach – eine Sonderausstellung über den Umgang mit der Musik Bachs und Mendelssohns in der NS-Zeit (und danach!) gezeigt wird. Aber das ist ein anderes Thema und an dieser Stelle ein leider zu weites Feld, das mal einen eigenen Artikel verdient hat.

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